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Bild zu Undergroundstar Dr. Faust spielt Clubshow Berlin

Undergroundstar Dr. Faust spielt Clubshow Berlin

Er ist das Enigma der zeitgenössischen Gitarrenmusik und für viele nicht weniger als ein Jahrhundert-Genie. Nun spielte der angeblich in Detroit lebende Musiker Dr. Faust unter dem Namen Adam Without Eve sein vielleicht erstes Clubkonzert einer langen, undurchsichtigen Karriere, die viele Fans aus dem Film Only Lovers Left Alive von Jim Jarmusch kennen.

19. Dezember 2023

Man muss den Musiker Dr. Faust nicht mögen, um seiner Musik zu erliegen. Der rätselhafte Mann, von dem man eigentlich nur weiß, dass er seit gut zwanzig Jahren geniale Instrumental-Musik auf ominösen Wegen veröffentlicht, ist auf den ersten Blick eine recht prätentiöse Erscheinung. Wie er dort auf der Bühne des kleinen Punk-Clubs Wild at Heart im Berliner Stadtteil Kreuzberg im Halbdunkel steht, wirkt er fast, als wolle er alle Klischees eines schwermütigen Rockmusikers abhaken. Er trägt trotz Raumtemperaturen um die 40 Grad Celsius einen schweren, schwarzen Mantel, hat die langen Haare und die Hemden und die Hosen und die Schuhe schwarz und zupft sich vor dem ersten Akkord erst einmal die, natürlich schwarzen, Handschuhe ab. Man fragt sich sogar kurz, ob man hier einem Aufschneider erlegen ist, aber dieses blasse, schöne Gesicht, das nur einmal 2013 schemenhaft auf einer grobkörnigen Fotografie seiner EP "Only Lovers Left Alive" auftauchte, passt dann doch sehr gut zu dem Bild, das man von ihm hat – oder haben will.

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Dazu muss man wissen: Dr. Faust ist eines der größten Rätsel der Rockgeschichte. Seit zwanzig Jahren veröffentlicht er intelligente, atmosphärische, todtraurige Instrumentalmusik. Erst auf einem kleinen Kassetten-Label, als die Welt kurz an CDs glaubte, dann in Vinyl-Kleinstauflagen bei Jack Whites Detroiter Label Third Man Records. Das musste inzwischen ein paar Dutzend Mal bestätigen, dass White nie direkten Kontakt mit Dr. Faust hatte. Was man ihm nicht so recht glauben will – denn, da sind sich die vielen Fan-Detektive sicher: Dr. Faust lebt in Detroit, wo seine Lieder auch zuerst in diversen Clubs und Dive Bars die Runde machten. Die letzten zwei EPs "Zombie Serenades" und "Adam Without Eve" erschienen zum Glück vieler Fans sogar digital via Bandcamp – und brachen nach Angaben des Bandcamp-CEOs Ethan Diamond einen internen Download-Rekord. Die zuletzt genannte EP führte dann auch auf die Fährte, die rund 150 Fans, Nerds, Journalist:innen und sogar den amerikanischen Filmemacher Jim Jarmusch in diesen kleinen Club brachte.

Das Ambiente der kleinen, etablieren Punk- und Rock’n’Roll-Bar will dabei so gar nicht zur Ästhetik des Dr. Faust passen. Das Tiki-Flair, der Rock’n’Roll-Kitsch – eigentlich ein krasser Kontrast. Trotzdem wird Dr. Faust diesen Club wohl mit Bedacht gewählt haben, als er – nachdem das Fan-Forum "So stay a moment still" heiß gelaufen war – auch "offiziell" auf der Website seines Labels verkünden ließ, dass er als Adam Without Eve in Berlin spielen wird. Warum diese Stadt? Wir werden es nie erfahren, denn Dr. Faust verweigert sich jeglicher Ansprache und Auskunft.

Adam (Dr. Faust) und seine Eve © Arthaus / Studiocanal

Adam (Dr. Faust) und seine Eve © Arthaus / Studiocanal

Als er kurz vor Mitternacht endlich auf die kleine Bühne tritt, weiß niemand so recht, ob man kreischen, johlen oder andächtig schweigen soll. Denn man spürt irgendwie: Er ist es wirklich. Das Ergebnis ist eine seltsame Kakophonie aus überraschten Lauten, scharf eingezogenem Atem und dem ein oder anderen hysterischen Kreischen. Faust kommt solo, ohne Band, hat lediglich ein Standmikro, eine rare SUPRO Dual Tone-Gitarre und ein gutes Dutzend Effektpedale. Darunter auch, wie man später merken wird, ein Drum-Machine-Pedal, mit dem er vorproduzierte Drum-Rhythmen steuert. Im Hintergrund stehen zwei massive Boxen, die – wie eine Berliner Stammkundin des Wild At Heart bestätigt – noch nie in diesem Club zu sehen waren. Weiter hinten im Club, am Mischpult, sieht man einen jungen, ebenfalls blassen Mann, der – natürlich – komplett Schwarz trägt. Faust nickt ihm zu, tritt dann an den Mikroständer am Bühnenrand, der nur bei Ansagen zum Einsatz kommen wird, und sagt in leisem, aber bestimmtem Englisch: "Ich werde nur meine Musik spielen. Und vielleicht ein paar Worte dazu sagen. Ich werde NICHT backstage abhängen. Ich werde KEINEN verdammten Merch verkaufen. Und ich werden KEINE Interviews geben. Have fun. Or whatever."

Und dann beginnt ein Konzert, das trotz seiner übersichtlichen Spielzeit von einer Stunde nicht weniger als historisch zu nennen ist. Als Opener wählt Faust die "Zombie Serenade, Pt. 5", das letzte Stück der EP ähnlichen Namens. Eine erstaunliche Wahl, denn diese gut siebenminütige Komposition ist für seine Verhältnisse fast fröhlich geraten. Zumindest in der zweiten Songhälfte: die ersten zwei Minuten klingen eher wie der Soundtrack zur Apokalypse. Faust lässt die Gitarre nicht nur jaulen, dieses Wort wäre zu schwach, es klingt eher, als würde der gesamte Planet in eine massive Gitarrenwand krachen und an ihr zerschellen. Und dann plötzlich, in einem Turn, bei dem auch der mysteriöse Dr. Faust kurz lächelt, kippt sein Gitarrenspiel ins Fröhliche, hüpfen leichte, fast Hippie-eske Akkorde durch den Raum. Als Konzertkritiker und Fan weiß man immer noch nicht, wie das zu verstehen ist – begrüßt er etwa die Zombieapokalypse und freut sich auf die Zeit danach? Was lässt ihn glauben, er käme aus der Nummer lebend raus? Vielleicht gibt das Folgestück eine Erklärung: "Only Lovers Left Alive" heißt es und er widmet es mit einem zärtlichen Hauchen einer gewissen Eve. Wieder denkt man kurz, ob das nicht ein wenig zu prätentiös und konstruiert ist, aber dann spielt er diese wehmütige, liebevolle Melodie, von der viele glauben, sie zitiere die Streicher aus Joe Stubbs "Ain't That Loving You (For More Reasons Than One)", einer Ballade, die tief verwachsen ist mit der Musikstadt Detroit. In einer Art Refrain springt der Song dann in einen anderen Rhythmus, Faust tippt blitzschnell mit seinen Schuhen auf diversen Pedalen herum und man ist plötzlich in ein einem Sound, der eher an die tranceartige Sufi-Musik Marokkos erinnert, die man zum Beispiel auf den Marktplätzen und in der Nähe der Moscheen in Tanger hören kann. In der Mitte des Sets kommt das, was man auch bei einem Enigma wie Faust als "crowd pleaser" bezeichnen muss: "The Wanderer's Fantasy", das er seltsamerweise mit den Worten „This one I wrote with a dear friend of mine" ankündigt. Was in diesem Fall Franz Schubert sein müsste, denn die Gitarrenmelodien klingen für viele wie eine Interpretation der komplexen "Wanderer-Fantasie" – aus dem Jahr 1822.

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Hier kokettiert Dr. Faust vielleicht mit all jenen Kritiker:innen und Fans, die ihn immer wieder als "alterslos" oder "neben der Zeit stehend" beschreiben. Es mag hanebüchen klingen, aber wenn man die Aura dieses Mannes zum ersten Mal so nahe spürt, kommt es einem wirklich vor, als trage er Weisheit und Wehmut einer halben Ewigkeit auf seinen schmalen Schultern. Es gibt noch eine zweite Referenz im Set, die Rätsel ausgibt: "She Weepeth Sore in the Night" trägt nicht nur den Namen einer Komposition des 1645 verstorbenen Briten William Lawes, sie schafft es auch, zahlreiche dieser uralten Akkordfolgen, einst geschrieben für mindestens vier Chorstimmen, in ein klassisches Rockvokabular zu übersetzen. Die große Überraschung kommt dann noch einmal am Ende der Show: Plötzlich betritt ein junges Paar fast andächtig die Bühne. Dunkle Augen, dunkle Haare, er mit einem offenen schwarzen Hemd, sie mit einem leichten schwarzen Trägerkleid, und beide ähnlich blass wie Dr. Faust. "Please meet to very dear young friends I met in Tanger for my last song oft he night", sagt Faust und dann: "They will help me with a song named 'Byron and those French fuckers'." Was folgt, ist eine Art Spoken Word Performance: die beiden rezitieren abwechselnd Zeilen von besagtem George Gordon Byron und französischen Dichtern und Schreibern wie Louis-Ferdinand Céline, Charles Baudelaire oder Lautréamont, dessen diabolische "Gesänge des Maldoror" hier in sehr knappen Auszügen zitiert werden.

Und dann ist diese wundervolle Performance ganz plötzlich vorbei. Die beiden jungen Bühnengäste verneigen sich, Dr. Faust haucht ein "Merci", man blinzelt kurz und schon ist er durch eine kleine Tür neben der Bühne verschwunden. Und wird auch nicht mehr auftauchen. Obwohl Fans und Journalist:innen zum Backstage eilen – und am gleichen breiten Security scheitern, der schon zu Beginn der Show den Einlassstopp durchsetzte. Nach dem Konzert ist die Stimmung melancholisch. Verwirrt. Begeistert. Keine Aftershowparty, eher eine Andacht, die sich nach und nach mit einer gewissen Traurigkeit mischt, da wohl alle im Raum wissen, dass sie so ein Konzert in ihren Lebzeiten wohl niemals wieder mehr sehen werden.

Dieser Text ist ebenso wie der Film Only Lovers Left Alive eine Fiktion. Oder?

Daniel Koch

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