Schon in der ersten Folge dieser französischen Serie fällt ein Satz, den man nicht mehr aus dem Kopf bekommt. Das Setting: Ein TV-Duell im Wahlkampf. Der Präsidentschaftskandidat der Parti socialiste (PS), Francis Laugier (Niels Arestrup), trifft auf den amtierenden Präsidenten. An der Seitenlinie im Studio: Phillippe Rickwaert (Kad Merad), eigentlich Bürgermeister von Dünkirchen, aber auch Parlamentarier, Strippenzieher und politischer Ziehsohn von Laugier. Rickwaert sagt zu seiner Kollegin, der Beraterin Amélie Dorendeu (Anna Mouglalis): "Hier geht es nicht um Politik. Hier geht es um zwei Männer. Einer gewinnt. Einer verliert." Die Kollegin sagt: "Wie bei Darwin, mh?" Und Rickwaert sagt: "Ganz genau." Warum gerade dieser Satz auch in der dritten Staffel nachhallt? Weil es hier inzwischen heißt: Dorendeu vs. Rickwaert.
Phillippe Rickwaert ist der namengebende Baron Noir. Er wird in der ersten Staffel das Bauernopfer eines Parteiskandals – kalt gestellt von seinem eigenen Förderer. Aber Rickwaert kämpft sich mit allen schmutzigen Tricks wieder hoch und nimmt die Sache mit "Darwin" wörtlich. Kad Merad spielt diesen Mann mit einer körperlichen und verbalen Intensität, die einen sofort in ihren toxischen Bann zieht. Denn vor allem das lehrt diese Serie: Politik ist Schlammcatchen. Intrige. Verbrechen. Taktik. Härte. Mauscheln. Menschenfangen. Wie wahr das im Allgemeinen und in Frankreich im Speziellen ist, bewies schon bei der ersten Staffel die französische Politik höchstselbst: Der Wahlkampf 2017 war nach Meinung zahlreicher Journalist*innen weit schmutziger als die Fiktion der Serienmacher. Baron Noir-Co-Autor Eric Benzekri, selbst ehemaliger Politberater, wurde so zum gern interviewten Kommentator und sagte damals zum Beispiel der Zeitung "Le Monde": "In dieser Präsidentschaftswahl erleben wir die Auflösung des politischen Systems, so wie wir es auch in unserer ersten Staffel gezeigt haben."
Astrid Whettnall (Veronique Bosso), Kad Merad (Philippe Rickwaert), Francois Morel (Vidal) © Jean-Claude Lother / KWAI / CANAL+
Die Kritiken zu Baron Noir waren von Anfang an regelrecht begeistert. Der britische „Guardian“ sprach sehr treffend von einer "perfekten Mischung aus ‚House of Cards‘ und den ‚Sopranos‘." Im "Le Figaro" hieß es: "Diese Serie ist ein großartiges Schauspiel, ein politischer Thriller, bei dem der Zuschauer schnell begreift, dass einfach alles möglich ist, vor allem das Schlimmste." Und die "Süddeutsche Zeitung" hob eine Stärke der Serie hervor, die mit jeder Staffel deutlicher wurde: "Und während die zwei Machtmänner einander in Stücke hauen, baut Baron Noir beinah nebenbei neue Heldinnen auf. Sowohl Bürgermeister Rickwaert als auch Präsident Laugier vertrauen auf den unermüdlichen Fleiß und die Schnelligkeit ihrer Beraterinnen. Kaum ist Laugier in Bedrängnis, ruft er ‚Amélie!‘ (Anna Mouglalis als Amélie Dorendeu) herbei, die ihn mit ‚Monsieur le Président‘ ansprechen muss. Und auch für Rickwaerts Assistentin ist der Alltag eine ermüdende Mischung aus Demütigung und Durchbeißen. Zum Ende, das verrät nicht zu viel, verbünden sich diese beiden Frauen. Baron Noir ist auch deshalb sehenswert, weil es sich bei aller Düsternis Hoffnung erlaubt."
Rachida Brakni (Naïma Meziani) interviewt Anna Mouglalis (Amélie Dorendeu) © Jean-Claude Lother / KWAI / CANAL+
In der dritten Staffel beweisen Eric Benzekri und der zweite Serienautor im Bunde, Jean-Baptiste Delafon, wieder einmal ihren genauen Blick auf die aktuelle Politik. Amélie Dorendeu ist inzwischen amtierende Staatspräsidentin, aber kurz vor den anstehenden Wahlen vom Amt ermüdet. Philippe Rickwaert hat eine Haftstrafe verbüßt, gilt vielen plötzlich wieder als "wählbar" und beschließt, selbst das höchste Staatsamt ins Visier zu nehmen. Dafür setzt er auf seinen Politikstil zwischen Strategie und Intrige, forciert die gesellschaftliche Spaltung mit Hilfe des Rechtspopulisten Michel Vidal und den wütenden Aktivist*innen der "Gelbwesten". Aber auch Anna Mouglalis als Amélie Dorendeu gewinnt an Kontur und Spielzeit. Die Präsidentin setzt auf eine ambitionierte Umweltpolitik – übrigens gemeinsam mit dem deutschen Kanzler Klaus Fischtel (Jochen Hägele).
Dank den pointierten und zugleich ungeheuer informativen Dialogen, den unverblümten Politik-Einblicken, der wie immer stylischen Ausstattung und der lebhaften Kameraführung bleibt Baron Noir auch in Staffel 3 in Bestform – und endet leider in selbiger. Denn eine vierte Staffel, die vielleicht sogar die aktuellen französische Pandemie-Politik hätte zerlegen können, wird es vorerst nicht geben. Das wurde bereits im Herbst letzten Jahres verkündet. Eric Benzekri ist jedoch glücklich mit dieser Entwicklung. Für ihn schließt sich mit dem finalen Duell zwischen Philippe Rickwaert und Amélie Dorendeu (dessen Ende wir hier nicht spoilern wollen) ein Kreis. "Hätten wir die Geschichte vom Endpunkt der Staffel 3 weitererzählt, hätten wir es riskiert, uns eher in Science-Fiction-Gefilde zu begeben. Und wenn du zu viele Dinge vorhersehen musst, riskierst du es schnell, daneben zu greifen." Das ist schade. Aber verständlich.
DK