Kalifornien Ende der 60er. Die Welt brennt. In Vietnam stirbt Amerikas Jugend. Die Bürgerrechtsbewegung marschiert auf und kracht in die Ewiggestrigen. Die Hippies reden von Peace und freier Liebe und verwirren ihre Eltern. Der Schock über die tödlichen Attentate auf John F. Kennedy und Malcolm sitzt tief. In den Folgejahren sollten auch Robert F. Kennedy und Martin Luther King ermordet werden. Und trotzdem: Im Vorspann zu Wunderbare Jahre gleitet die Kamera irgendwann friedlich über akkurat gemähte Rasenflächen, mit dem Lineal gestutzte Hecken, weiß strahlende Häuser und ein beruhigendes Muster aus kleinen Straßen. Aus dem Off hören wir die Stimme des erwachsenen Kevin Arnold, der hier auf den Schauplatz seiner Kindheit und Jugend blickt und sagt: "Es gibt keine schöne Art das zu sagen, aber: Ich bin ein Vorstadt-Kind. Und trotzdem: In gewisser Weise waren das für uns Kids in den Suburbs wirklich wunderbare Jahre. Es war ein goldenes Zeitalter."
Wunderbare Jahre feierte im Jahr 1988 auf dem TV-Sender ABC Premiere, zeigt aber das Aufwachsen des von Fred Savage gespielten Kevin Arnold ab dem Jahr 1968. Beide sind zwölf Jahre alt, als die Serie in ihr Leben tritt. Savage war dann auch der jüngste Emmy-Nominierte aller Zeiten. Das Voiceover stammt vom erwachsenen Kevin, der hier mit viel Nostalgie in der Stimme aus diesen für ihn wunderbaren Jahren erzählt. Was übrigens nicht bedeutet, dass die Serie die dunklen Stunden Amerikas ausspart. Eher im Gegenteil: Schon in der ersten Staffel erleben wir, wie der große coole Bruder von Kevins erster Liebe und später On-Off-Beziehung Gwendolyn "Winnie" Cooper (Danica McKellar), nach Vietnam geht – und dort wenige Wochen später sterben wird. Aber Wunderbare Jahre verhandelt diese großen Themen aus der vermeintlich kleinen, behüteten Welt eines nicht näher benannten Suburbs in Kalifornien. Trotzdem spürt man, wie der Schock und die Trauer Kevin – und noch viel mehr Winnie – aus dem Konzept bringen.
Wunderbare Jahre heute zu schauen, wurde vor einigen Jahren im "Slate"-Magazin einmal so beschrieben: "Es fühlt sich an, als sei man auf einem Nostalgie-Jahrmarkt gefangen. Fantasien über und Sehnsüchte nach den 50ern und 60ern Jahren kollidieren mit Seltsamkeiten aus den 80er-Jahren und dringen bis in die Gegenwart vor." Das trifft die Sache sehr gut: Wer diese Vorstadtbilder sieht, in die süßen Gesichter von Kevin, Winnie und Kevins bestem Freund Paul (Josh Saviano) blickt und diese Off-Stimme (vor allem das englische Original von Daniel Stern) hört, wird auf schönste Weise umarmt und in vermeintlicher Sicherheit gewähnt. Wer auch nur hin und wieder amerikanische Filme sieht, kennt diese Welt. Man kennt den historischen Kontext, man kennt die Mode (wenn man diese denn aus heutiger Sicht so nennen mag), man kennt die Architektur, man kennt die fantastische Musik, die hier oft perfekt gesetzt zum Einsatz kommt, man kennt die Automodelle – aber man kennt eben auch: die Dramaturgie, die Probleme, die Höhepunkte und Tiefpunkte des Teeanger-Lebens.
Der immense Erfolg von Wunderbare Jahre – vor allem in Amerika – wurde oft damit erklärt, dass es die Serie geschafft hat, eine Jugend und ein Umfeld vorzuleben, mit der sich ein Großteil des Landes identifizieren kann. Aber auch die gar nicht mal so selbstverständliche Entscheidung von Anfang an auf Nostalgie und "Früher war alles besser" zu setzen, ist Teil des Erfolgsrezepts. Wobei das alles ein wenig zu theoretisch und kalt klingt. Der Erfolg ist natürlich auch dem Cast zu verdanken – allen voran der junge Fred Savage, der wohl auch einer der jüngsten Schauspieler gewesen sein dürfte, der einen Monolog bei der legendären TV-Show "Saturday Night Live" halten durfte.
Auch das Drehbuch saß – vor allem in den ersten beiden Staffeln. Da konnten die Eheleute Neal Marlens und Carol Black noch selbst die kompletten Drehbücher schreiben, bevor die Serie so erfolgreich wurde, dass die Staffeln immer länger sein mussten und das Pensum zu hoch war, um es als Zweier-Team zu schaffen.
Neal Marlens sagte der "L.A. Times" Ende der 80er in einem Interview: "Einer der Reize unserer Show ist, dass die Leute sagen können: 'Daran erinnere ich mich.'" Neal Marlens sieht den Erfolg aber auch in der richtigen Balance aus Comedy und Pathos, für die es das richtige Feingefühl braucht, damit die Serie zur eigenen Parodie wird. Worauf seine Frau Carol Black im gleichen Interview sagte: "Eine Show kann so schnell zur Formel werden. Und man will nicht jede Woche diesen speziellen ‚Wonder Years‘-Moment kreieren: 'Es hat mich zum Lachen gebracht, es hat mich zum Weinen gebracht.' Man will nicht zu einer Parodie seiner selbst werden."
Das ist ihnen im Großen und Ganzen gelungen, und wir waren selbst überrascht, wie bewegend einige Folgen noch immer sind, obwohl man viele Szenen – Begegnungen am Schul-Spind, der Abschlussball, der erste unschuldige Kuss im Wald, die Rauferei mit dem großen Bruder – schon hundertmal in anderen Serien und Filmen gesehen hat. Aber dieser Cast hat eine besondere zwischenmenschliche Energie – allen voran der junge Fred Savage, der einerseits sweet und relatable ist – andererseits aber auch ein bockiger Teenager oder gar ein Arschloch sein kann. Zur weiterführenden Lektüre empfehlen wir an dieser Stelle übrigens den lustigen Tumblr kevinarnoldisadick.tumblr.com.
Was Wunderbare Jahre aber so anrührend macht, ist die ständig mitschwingende Erkenntnis, dass diese Zeit unter der warmen Decke der Nostalgie eben nicht immer dieses am Anfang der Serie erwähnte "goldene Zeitalter" war. So sweet und lustig viele Szenen sind, so klar schimmert immer wieder durch, was in dieser Zeit verklärt, verdrängt und übersehen wurde. Da gibt es viele Beispiele für, aber am eindrücklichsten erkennt man es vielleicht in der Figurenzeichnung von Kevins Eltern John (Dan Lauria), der meistens Jack genannt wird, und Norma (Alley Mills). Kevins Vater ist ein Veteran der Koreakrieges. Er ist durchgehend genervt. Kann seine Gefühle nicht zeigen. Scheint depressiv. Trinkt viel. Und lässt seinen Frust manchmal auch körperlich an seinen Söhnen aus. Norma wiederum ist die fürsorgende Mom, der man immer wieder anmerkt, dass sie unter dieser Fassade mit ihren Sehnsüchten und Enttäuschungen ringt. Hier ist es besonders schön zu sehen, wie sie später in der Serie ihren College-Abschluss nachholt und eine eigene Karriere anstrebt.
Dass man Wunderbare Jahre viele nicht so wunderbare Jahre lang als alter Fan in den Tagesprogrammsparten der Privat-TV-Sender suchen musste, lag übrigens daran, dass die Serie einfach einen viel zu guten Soundtrack hatte. Hits von Joe Cocker (das Beatles-Cover "With A Little Help From My Friends"), Buffalo Springfield ("For What It's Worth (Stop, Hey What's That Sound))", Van Morrison ("Browned Eyed Girl") oder Crosby, Stills, Nash & Young ("Teach Your Children") wurden zu einer Zeit lizensiert, an der man über eine viele Jahre dauernde Heimkino-Verwertung weder groß nachdachte noch drüber verhandelte. Am Ende wurden jedoch auch dafür kreative Lösungen gefunden – und wir können endlich wieder ein paar wunderbare Abende mit Wunderbare Jahre verbringen…
P.S.: Aus dem Jahr 2021 gibt es übrigens eine durchaus gelungene Neu-Interpretation von The Wonder Years, die aus dem Leben des schwarzen Teenagers Dean Williams erzählt. Auch die sei an dieser Stelle empfohlen, auch wenn sie gerade nicht in unserem Programm ist.
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Daniel Koch