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Warum Zürich im Film Stiller eine Hauptrolle spielt…

… sich diese aber von der Romanvorlage unterscheidet, erklären wir in diesem Text. Regisseur Stefan Haupt ist ebenso wie Max Frisch in Zürich aufgewachsen und hat sich bewusst entschieden, mit "ein wenig mehr Liebe" auf die Stadt zu schauen als Max Frisch es tat.

03. November 2025

In Stefan Haupts Romanverfilmung Stiller sieht man mit Albrecht Schuch und Paula Beer nicht nur zwei sehr schöne Menschen – man sieht diese Menschen auch immer wieder durch eine sehr schöne Stadt laufen.

Dabei handelt es sich natürlich um Zürich, das sich im Film von seinen besten Seiten zeigt. Denn, wie Max Frisch seinen "Stiller" im Roman recht süffisant sagen lässt: "Zürich könnte ein reizendes Städtchen sein. Es liegt am unteren Ende eines lieblichen Sees, dessen hügelige Ufer nicht von Fabriken, jedoch von Villen verschandelt sind."

Im Film gibt es eine Reihe von Dialog-lastigen Spaziergängen, die trotz aller inhaltlicher Deepness einen ruhigen Fluss haben. Auch dafür wusste Max Frisch schon damals den Grund: "Bei aller Geschäftigkeit hat Zürich, Treffpunt der Kaufleute, etwas Kurorthaftes." Ist das ein Loblied? Oder ein Diss? Wer Max Frischs Werk und seine Tagebücher kennt, ahnt: vermutlich beides.

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Stefan Haupt hatte ganz offensichtlich eine große Freude daran, seine Heimatstadt von den besten Seiten zu zeigen. Und die kann man hier ganz klar benennen: Schuch und Beer laufen vor allem durch das Zürcher Quartier Lindenhof, und sie verweilen etwas länger am wirklich wunderschönen Zürichhorn sowie im dort angelegenen Strandbad Tiefenbrunnen.

Das Quartier in der Umgebung des Platzes Lindenhof ist dabei alles andere als ein Geheimtipp. Hier handelt es sich praktisch um die Altstadt Zürichs, die alle Tourist:innen meistens gleich nach der Ankunft erkunden. Wer am Hauptbahnhof ankommt, muss dabei nur zur ersten Brücke über die Limmat gehen – und von da an in Richtung Zentrum rechts oder links am Fluss entlanglaufen. Der Autor dieses Textes, der seit gut drei Jahren den Großteil des Jahres in Zürich verbringt, empfiehlt dabei die rechte Seite (die linke zählt auch strenggenommen gar nicht mehr zum Lindenhof) – die ist ungleich spannender und nicht ganz so überlaufen. Im Lindenhof hat man wirklich das Gefühl, man schlendere gerade durch eine begehbare Postkarte.

Noch schöner sind jedoch die Orte, an denen James Larkin White und/oder Stiller und Julika wieder ein wenig zueinander finden. Auf dem Foto, das diesen Artikel ziert, sieht man die beiden zum Beispiel beim Gespräch an der "Goldküste" kurz vor dem Zürichhorn. So nennen die Zürcher einen Teil des östlichen Zürichseeufers: Zum einen wegen der von Max Frisch erwähnten Villen, zum anderen, weil man dort viel länger Sonne hat als auf der anderen Seite.

Der Ausblick am Zürichhorn (von einem Tisch am Wasser im Biergarten "Fischergarten") © Daniel Koch

Der Ausblick am Zürichhorn (von einem Tisch am Wasser im Biergarten "Fischergarten") © Daniel Koch

Wenn Sie also einen kleinen Stiller-Gang machen wollen beim nächsten Zürichbesuch, müssen Sie einfach am Ende des Lindenhofs linkerhand am Ufer entlang weitergehen – parallel zum Utoquai. Dort sind Sie im Quartier Seefeld und gelangen nach gut zwanzig Minuten an das Zürichhorn – und finden einen der schönsten Anblicke Zürichs. Hier wird der See nämlich ein Stück breiter und eröffnet ein wunderschönes See-und-Berg-Panorama. Am Horizont ragen die Alpen auf, man wird geradezu erschlagen vom schönen Blau des Sees und unter riesigen Bäumen findet man dann auch noch den schönsten Biergarten der Stadt.

Nur fünf bis zehn Minuten weiter ist man dann im Strandbad Tiefenbrunnen, das im Herbst und Winter auch als Park kostenlos begehbar ist. Hier sitzen White/Stiller und Julika auf dem Steg des Zürichsee Kreisel – einem Rundsteg, der auch Teil der Badeanstalt ist.

Tiefschürfende Gespräche am Zürichsee Kreisel © STUDIOCANAL

Tiefschürfende Gespräche am Zürichsee Kreisel © STUDIOCANAL

Wie bereits erwähnt, verband Max Frisch mit Zürich eine Art Hassliebe. Hier wurde er geboren, hier starb er, hier verwaltet das Max Frisch-Archiv seinen Nachlass, hier verbrachte er zwischen vielen Reisen und Aufenthalten in anderen Ländern und Städten doch einen Großteil seines Lebens. Als Architekt wiederum hat sich Max Frisch mit dem von ihm geplanten Freibad Letzigraben in die Historie der Stadt geschrieben.

Regisseur Stefan Haupt weiß all das natürlich – und entschied sich ausdrücklich dafür, die Sticheleien gegen die Stadt im Roman "Stiller" nicht zu übernehmen. Im Interview für das Presseheft zu Stiller erklärt Haupt: "Ich bin in Zürich geboren und aufgewachsen, praktisch alle meine Filme haben große Nähe zu Zürich. Max Frisch ist ungefähr einen Kilometer entfernt von mir aufgewachsen. Es gibt gemeinsame Erlebnisse zu den verschiedenen Orten. In einem seiner Tagebücher beschreibt Max Frisch eine kindliche Mutprobe am Hornbach. Das habe ich mit meinen Brüdern auch gemacht. Dann beschreibt er Spaziergänge über den Pfannenstiel, der Hügel auf der einen Seeseite."

Weiter sagt Stefan Haupt: "Bei Max Frisch ist es ist eine Auseinandersetzung mit der Heimat, mit der Schweiz und teilweise auch mit dieser Enge. In seinem Fall war es schon fast eine Hassliebe. Das ist bei mir nicht ganz so, ein bisschen weniger Hass, mehr Liebe. Die Szenen am Seeufer sind in Seefeld gedreht, wo ich aufwuchs. Julikas ‚Pariser‘ Tanzschule ist eine Ballettschule in Zürich. Auch im Lindenhof, in dem die Filmhochzeit stattfindet, habe ich mit meiner Frau den Aperitif nach unserer Hochzeit getrunken."

Auch wenn einige Max-Frisch-Puristen dem Film Stiller ankreiden, diesen kritischen Blick auf Zürich nicht zu übernehmen, passt das schöne Zürich sehr gut in diesen Film, der eben etwas andere Wege geht, um die Essenz des Romans "Stiller" zu vermitteln und diesen im Grunde ja auch recht sperrigen Roman etwas zugänglicher macht, ohne die Kernfragen, die er stellt, zu unterschlagen.

Daniel Koch

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