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Bild zu Volker Schlöndorff und Francis Ford Coppola in Cannes 1979: Guter Jahrgang

Volker Schlöndorff und Francis Ford Coppola in Cannes 1979: Guter Jahrgang

Beide feierten dieses Jahr 85. Geburtstag – und vor 45 Jahren teilten sich die Star-Regisseure des Neuen Deutschen Films und des New Hollywood die Goldene Palme. Heute am 14. Mai geht es wieder los in Cannes – mit Coppolas Megalopolis im Wettbewerb der Filmfestspiele.

14. Mai 2024

Die beiden großen Filmemacher Francis Ford Coppola und Volker Schlöndorff feierten unlängst ihre 85. Geburtstage, tatsächlich liegen ihre Wiegenfeste nur eine Woche auseinander. Interessanterweise kreuzten sich ihre Wege an einem bedeutenden Punkt ihrer Karrieren. 1979 teilten sie sich den Preis der Goldenen Palme in Cannes für Apocalypse Now und Die Blechtrommel. Ein Foto von der Verleihung zeigt sie in gemeinsamer Siegerpose, wie zwei Boxer, die sich gegenseitigen Respekt zollen für die Leistung der vergangenen Runden. Und wenn man an die turbulenten Produktionsgeschichten denkt, die hinter den Filmen stecken, passt diese Pose doch wie die Faust aufs Auge.

1980 trafen sich Schlöndorff und Coppola dann auch noch mal im Rahmen der Verleihung der Academy Awards, wo ihre Geniestreiche für diverse Oscars nominiert waren. Schließlich gab es auch da einiges zu feiern. Die Trophäen für Bester Ton und Beste Kamera gingen an Apocalypse Now (den Regie-Oscar hatte Coppola bereits 1975 für Der Pate – Teil II gewonnen), und Die Blechtrommel erhielt die Auszeichnung als Bester fremdsprachiger Film. Also wenn das nicht schon in Sternen stand! Wie die beiden wohl 45 Jahre nach dem Doppeltriumph von Cannes darüber denken?

„Arthur Miller hat mir mal etwas Interessantes gesagt. Als ein Freund von ihm, ein Schriftsteller, in eine Depression verfiel und ich ihn fragte, was wohl seine Erklärung dafür sei, meinte er: ‚Wahrscheinlich hat er versucht Bilanz zu ziehen, und das ist gefährlich. It never adds up.‘
Heißt: Viel kommt unter dem Strich nicht dabei raus. In dem Sinne ist es ganz klar: Ich habe eine Menge an Filmen gemacht und es sind auch gute dabei, aber ich ordne sie vor dem Hintergrund der Filmgeschichte nicht so hoch ein.“ So Volker Schlöndorff im Interview, das im ARTHAUS Magazin anlässlich seines 80. Geburtstags und der Veröffentlichung einer wunderbaren Blu-ray-Best-of-Edition erschienen ist. Dahinter steckt eine Bescheidenheit, die den akribischen Arbeiter verrät, der sich nicht gerne selbst feiert.

Marlon Brando in "Apocalypse Now" © Studiocanal

Marlon Brando in "Apocalypse Now" © Studiocanal

Heutzutage beschäftigt sich Schlöndorff mit seinen frühen Filmen eigentlich nur dann, wenn er sie durch Restaurierungen besser machen kann (was im Übrigen im Fall von Die Blechtrommel oder auch Die verlorene Ehre der Katharina Blum grandios gelungen ist). Im Grunde hat er immer schon den nächsten Film im Kopf.

Diese Obsession des Weitermachens und über den eigenen Horizont Hinausdenkens ist eine Eigenschaft, die er mit Coppola teilt. Der hat nicht nur immer wieder Hand angelegt ans Material, etwa in neuen Schnittfassungen von Apocalypse Now: Apocalypse Now: Redux, Apocalypse Now – Final Cut, Apocalypse Now – Full Disclosure. Coppola gründete bereits 1969 die Produktionsfirma American Zoetrope, um sich kreative Unabhängigkeit zu verschaffen. Aufgund seiner großen, aber finanziell und zeitlich auch erschöpfenden Erfolge in den 1970er Jahren entpuppte sich diese Entscheidung als sehr vorausschauend und geradezu überlebenswichtig im Sinne der Kunst. Sie ermöglichte ihm die Fortsetzung der Karriere zu Beginn des nächsten Jahrzehnts – mit dem eigenwilligen Musicalfilm One from the Heart – Einer mit Herz. Später produzierte Coppola neben den eigenen Meisterwerken wie Cotton Club oder Rumble Fish auch den Hit Lost in Translation seiner Tochter Sofia Coppola.

Bei aller Bescheidenheit: Die Blechtrommel nimmt eine Sonderstellung in Schlöndorffs Schaffen ein, und dasselbe gilt für Apocalypse Now in Coppolas Gesamtwerk. Darüber hinaus spielen die Gesamtwerke der beiden herausragende Rollen in der Kinogeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Kein Zweifel – und deshalb auch kein Zufall, dass sie sich so um die Mitte dieser zweiten Jahrhunderthälfte herum im Scheinwerferlicht von Cannes und auf dem Roten Teppich der Oscar-Zeremonie trafen. Interessante Frage in der Retrospektive: Wie hätten Sie entschieden, liebe Leser*innen, wenn sie in der Jury von Cannes gesessen hätten? Vorsitzende damals war übrigens Françoise Sagen ("Bonjour tristesse").

So unterschiedlich Apocalypse Now und Die Blechtrommel letztlich sein mögen, beide spielen in Kriegszeiten und bei diesem heiklen Thema erweisen sich die Autorenfilmer Schlöndorff und Coppola als außergewöhnlich begnadete Erzähler. Es ist die ganzheitliche Sicht auf die Produktion eines Films, die künstlerische Verstrickung in sämtliche Bereiche, die sie als Autoren ihrer Filme eint, natürlich inspiriert von den französischen Kollegen der Nouvelle Vague, weshalb die Auszeichnung in Frankreich nur logisch erscheint. Sowohl Schlöndorff als auch Coppola gingen immer wieder all-in, wie man im Casino sagen würde. Prinzipiell verbindet man ihre Namen mit dem Wagnis, die jeweilige Filmszene ihres Landes gemeinsam mit Gleichgesinnten revolutionieren zu wollen. New Hollywood meets Neuer Deutscher Film – man würde gerne wissen, was da 1979 und 1980 abseits des öffentlichen Trubels so geplaudert wurde, etwa zum Thema Risikobereitschaft. Schlöndorff hatte sich mit Die verlorene Ehre der Katharina Blum (gemeinsam mit Margarethe von Trotta) mit dem mächtigen Springerkonzern angelegt, Coppola sein Filmteam quasi in die Wirklichkeit des Vietnamkriegs versetzt, die Dreharbeiten wurden zur apokalyptischen Schlacht, wie die Doku Reise ins Herz der Finsternis – Hearts of Darkness seiner Ehefrau Eleanor Coppola belegt.

David Bennent in "Die Blechtrommel" © Studiocanal

David Bennent in "Die Blechtrommel" © Studiocanal

Es lagen also inhaltliche Überschneidungen und gemeinsame Interessen als Grundlage für tiefere Unterhaltungen vor. Sicher hatte Coppola damals schon die Idee für The Outsiders in petto und hätte sich mit Schlöndorff über dessen Debüt Der junge Törless und die Darstellung der Jugend darin austauschen können. Oder über die Kunst der Literaturverfilmung – und die Vorlagen von Mario Puzo, Susan E. Hinton, Joseph Conrad oder Max Frisch, Heinrich Böll und Günter Grass, und wie sie im Kino zu laufenden Bildern werden. Es dürften Gespräche mit visionärem Charakter gewesen sein, wenn zwei solch visionäre Charaktere aufeinanderprallen.

Diese Vorstellung jedenfalls sei uns als Filmfans vergönnt. Volker Schlöndorff und Francis Ford Coppola selbst werden auch weiterhin weniger zurückschauen (selbst wenn sie ab und an mal einen stolzen Blick auf die Palmen oder ihre Oscars riskieren sollten), sich vielmehr lieber auf anstehende Aufgaben und Abenteuer konzentrieren. Aber wenn sie jetzt Bilanz ziehen würden, was im Alter von 85 Jahren nachvollziehbar wäre, es stünde mehr unter dem Strich, als bloß Ansammlungen handwerklich herausragender Filme. Schlöndorff und Coppola haben sich auf je einzigartige Weise in die Filmgeschichte eingeschrieben. Anders gesagt: Eins plus eins gleich maximale Filmkunst. It adds up!

WF

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