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Almost Famous – Fast berühmt: Eine Hassliebe

Unser Autor war selbst Redakteur beim Rolling Stone und ist noch heute in erster Linie Musikjournalist. Den wohl bekanntesten Film über seine Zunft hasst er. Und liebt ihn. Und hasst ihn. Und liebt ihn … Warum das so ist, erklärt er hier. Almost Famous – Fast berühmt von Cameron Crowe gibt es gerade bei ARTHAUS+ zu sehen.

10. April 2023

Wer als Musikjournalist*in arbeitet, wird immer wieder mit Sprüchen wie diesem konfrontiert: "Ach, ist es das so wie in Almost Famous?" Ich erinnere mich besonders gut an eine Weiterbildung im Hauptgebäude des Axel Springer Verlags. Die deutsche Ausgabe des Rolling Stone Magazins erscheint in einer Tochterfirma des Hauses und irgendwie war die Redaktion, zu der ich damals zählte, für einige der Teilnehmenden eine Art Rock’n’Roll-Sehnsuchtsort. Während ich als Online-Redakteur mit einem sehr kleinen Team (eine Praktikantin, ein Teilzeit-Filmer) eher mit der hohen Schlagzahl des Online-Outputs, der im unteren Mittelfeld angesiedelten Bezahlung und der Tatsache kämpfte, das berühmte Musiker:innen immer am Wochenende starben, dachten die Kolleg:innen, die bei Springer im Vertrieb, bei den Tageszeitungen oder auch in der Kantine arbeiteten, unser Büro sei purer Sex, Drugs & Rock’n’Roll. Zumindest dann, wenn die Redakteur:innen nicht gerade mit großen Rockbands auf Tour abhingen und sich in deren Groupies verliebten. An diesem Zwei-Tages-Workshop hörte ich die Frage nach Almost Famous dreimal – und bekam natürlich auch das Album des Kumpels, des Neffens des einen Vertriebsangestellten zugesteckt. Ob man nicht mal was drüber schreiben könnte. Aber das ist eine andere Geschichte …

In meinen ersten Jahren als schreibender Musikfan – also Mitte der Nullerjahre – gab es außerdem immer wieder ältere Kollegen (an dieser Stelle muss ich nicht gendern – es waren nur Männer), die am liebsten ihre eigene Version von Almost Famous gedreht hätten. So sehr ich ihre Erfahrung schätzte und ihre Tipps aufsog, so sehr störte mich, dass viele mir immer wieder vermittelten: "Früher war das alles noch wilder!" Da sei man eine Woche in L.A. geblieben, bloß um eine Stunde mit der Band zu sprechen und am Abend auf einem exklusiven Konzert mit Crew und Band zu koksen. Da sei man vom Label bezahlt auf große Touren geschickt worden, um ein Tourtagebuch zu schreiben und sei fast täglich auf Release-Partys abgefüllt worden. Manch einer sprach dann sogar aus, was schon wenig auffällig mitschwang: "Du bist da ein wenig zu spät reingeraten."

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Es sind diese Punkte, die mir diesen herzenswarmen und wirklich gelungenen Film immer wieder vergrätzt haben. Für jemanden, der Mitte der Nullerjahre in den gedruckten Musikjournalismus geraten ist, und der mit ansehen musste, wie die Magazine, die man als Jugendlicher liebte, nach und nach eingestellt wurden (mein neben dem Rolling Stone liebstes – das Intro Magazin – "durfte" ich als Chefredakteur sogar selbst in die Garage fahren), wirkt Almost Famous wie ein Hollywood-Märchen. Ein 15jähriger Nerd, der vom amerikanischen Rolling Stone mit einer der angesagtesten Bands auf Tour geschickt wird, mit den Musikern abhängt, ihre Tiefpunkte erlebt, von den charismatischen weiblichen Fans adoptiert wird – und das alles in einer mit tollen Fotos ergänzten Story niederschreiben darf. DAS war doch der Traum, den jede Musikfan-Generation, die noch Printmagazine schätzte, hatte.

Als ich 2004 meine ersten Interviews führen durfte (also nur vier Jahre nach dem Kinostart von Almost Famous), sah diese magische Welt schon ganz anders aus. Einen so nahen Zugang, wie ihn William Miller – das fiktive Jugend-Ich von Cameron Crowe – bei Stillwater hatte, bekam man im Musikjournalismus ab den Neunzigern nur noch extrem selten bei erfolgreichen Acts. Schon gar nicht als schreibender Jungspund. Neben ganz seltenen, kleineren Presse-Reisen, die dann doch mal drin waren, bestand der Alltag meistens aus knapp getakteten Interview-Slots in mal schicken, mal funktionalen Hotelzimmern. Nach einem Gig mit einer Band abzuhängen war ebenfalls nicht gerade die Norm. Was auch daran lag, dass viele Künstler:innen nicht unbedingt großes Vertrauen in den Musikjournalismus und sein Personal hatten. Eher ging es in die andere Richtung: viele größere deutsche Bands wollten ihre O-Töne freigeben, bei so manchem internationalen Rockstar musste man die Fragen im Vorfeld absegnen lassen oder bekam ein kleine Liste jener Themen, über die NICHT gesprochen werden wollte. Zu sehen, wie Patrick Fugit als William durch diese strahlende Welt taumelt, mit diesem schüchternen Lächeln im Gesicht, machte mich da irgendwie, unfairerweise, neidisch. Das wurde auch nicht besser, als der amerikanische Rolling Stone ein tolles Video von Cameron Crowe veröffentlichte, wo dieser eine Box mit Erinnerungsstücken aus jener Zeit öffnete, die ihn zum Film inspirierte. Da sieht man Crowe zum Beispiel vor seiner ersten Tour-Reise mit Pete Townshed von The Who im Flur der Redaktion. Geschossen wurde das Foto von Annie Leibovitz – eine der bekanntesten Fotografinnen der Welt. Kann man besser in dieses Berufsfeld starten?

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Ich hasse Almost Famous allerdings immer nur so lange, bis ich ihn mir mal wieder anschaue. Dann kriegt er mich nämlich doch: Weil es eben ein so herzenswarmer Coming-of-Age-Film ist. Weil Cameron Crowe die Ästhetik der Zeit penibel nachgebaut hat – und es dabei schaffte, sie nicht wie eine bloße Kulisse ausehen zu lassen (was zum Beispiel mein Problem mit der aktuell so gefeierten Musikserie Daisy Jones And The Six ist, deren Produzent:innen todsicher Almost Famous seziert haben). Und weil dieser Film wirklich die Liebe zur Musik und das mehr oder minder professionelle Schreiben darüber feiert. Mal ganz abgesehen davon, dass Philip Seymour Hoffman als Kult-Rock-Kritiker Lester Bangs immer wieder ein Fest ist.

Wer heute als junger Mensch in den Musikjournalismus will, hat natürlich andere Vorbilder. Mein Kollege Anfang zwanzig kennt den Film nur vom Hörensagen – seine Inspiration war die Radio- und YouTube-Moderatorin und Rap-Journalistin Visa Vie. Was eine erfreuliche Entwicklung ist. Denn auch Almost Famous zeigt, dass Musikjournalismus immer schon (und damals noch viel mehr) ein Boy’s Club war. Deshalb möchte ich an dieser Stelle als Gegenpol den Roman "How To Build A Girl" von Caitlin Moran und die Verfilmung aus dem Jahr 2019 mit Beanie Feldstein empfehlen – sie erzählen ebenfalls in großen Teilen autobiografisch, wie eine junge Frau in Williams Alter im Rausch der Britpop-Ära in den Musikjournalismus einsteigt.

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ls ich Almost Famous gestern noch einmal schaute, setzte so kurz nach dem Abspann dann noch ein anderer Effekt an: Auf einmal war ich selig mit meinem Job. Hatte meinen eigenen Almost Famous im Kopf. Erinnerte mich, wie ich Ed Sheeran vor seinem ersten Deutschlandauftritt in einem recht schäbigen Hotelappartement traf. Wie ZZ Top mitten im Interview Würfel aus ihren Sakkotaschen holten, weil sie mir von ihrem Würfelspiel mit den Rolling Stones vor deren legendären Hawaii-Konzert erzählten. Wie ich dem charismatischen, dreckigen Lachen von Shirley Manson von Garbage lauschen durfte. Wie mir Dua Lipa von der Zeit erzählte, als sie in Williams Alter nach London zog, um Sängerin zu werden. Wie ich die Killers traf, von Udo Lindenberg auf ein Eierlikörchen eingeladen wurde, wie ich spät nachts mit der tollen Sängerin Jenny Lewis telefonierte. Und vor allem: Wie ich als der einst Uncoolste der Schule mit arschcoolen Kolleg:innen ein Magazin machen durfte, das der preisgekrönte Rapper Tyler, the Creator mal ironisch "German super hipster asshole magazine INTRO" nannte. Von wegen "zu spät" an Bord gekommen! Ich hatte meinen Spaß. Und habe ihn noch immer – als Teil einer Redaktion, die eher bei YouTube und bei TikTok die Musik feiert.

Auch wenn es nicht für einen Kinofilm reicht, habe ich in all den (die meiste Zeit übersichtlich bezahlten) Jahren, nicht ein Mal bereut, meine persönliche Leidenschaft zum Job gemacht zu haben. Was Lester Bangs in Almost Famous sagt, stimmt eben immer noch: "The only true currency in this bankrupt world is what you share with someone else when you’re uncool." So sollte meiner Meinung nach noch immer jede Musikjournalist*innen-Laufbahn beginnen – der Rest wird sich geben.

Almost Famous – Fast berühmt gibt es gerade bei ARTHAUS+ zu sehen. Hier gibt es alle Informationen zu ARTHAUS+ auf Apple TV und hier geht's zum Channel bei Amazon.

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