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Besondere Kinos und ihre Geschichten: Cinema Salzgitter

Die ehemalige Geschäftsführerin Ursula Liebscher über ihr langjähriges Engagement für das Cinema Salzgitter und über den Status des Kinos in der Familie als "drittes Kind".

16. Juni 2025

Welchen Film haben Sie bei Ihrem ersten Kinobesuch gesehen?

Ich bin in Darmstadt aufgewachsen und immer mit meinem großen Bruder ins Kino gegangen. Da liefen in den Nachmittagsvorstellungen die alten Dick und Doof-Filme in Endlossschleife, dann kamen die Winnetou-Filme. Das waren meine ersten Kino-Erlebnisse.

Wie würden Sie Ihre persönliche Beziehung zum Kino beschreiben?

Zum Cinema Salzgitter bin ich nicht gekommen, weil ich so häufig im Kino war. Das Kino war eine Zeitlang geschlossen, aber Kulturinteressierte von der Kleinkunstbühne hatten es sich zur Aufgabe gemacht, es zu erhalten. Also starteten sie einen Aufruf in der Zeitung: Salzgitter ohne Kino? Das kann nicht sein! Und sie luden Interessierte ein, gemeinsam an einer Lösung zu arbeiten. Ich dachte: Da kannst du ja mal hingehen. Meine Kinder sollen nicht bis sonstwohin fahren, um ins Kino zu kommen. So bin ich völlig unbedarft in diese ganze Sache reingerutscht.

© Cinema Salzgitter

© Cinema Salzgitter

Dann wurde das Kino fester Bestandteil ihres Lebens?

Es fing ganz klein an mit Renovierungsarbeiten. Der offizielle Kinoneustart war der 2. April 1998 – als erster Film lief Titanic. Kurz vorher fiel uns auf: Oh Gott, wir haben ja gar keine Werbung gemacht! Deshalb habe ich mich mit meinem damals doch sehr bescheidenen Computerkenntnissen hingesetzt, habe Werbezettel geschrieben und sie in der ganzen Stadt verteilt. Diese Arbeit des Erstellens und Verteilens ist dann über zehn Jahre die meine gewesen. Die Geschäftsführung wurde ehrenamtlich von dem pensionierten Lehrer Fritz Lipkow – bis 2013, dann stieg Claus Griesbach ein – und dem Kripobeamten Bernd Neidhart übernommen. Mit den Jahren wurde mein Aufgabenfeld immer umfangreicher, da Bernd Neidhart bis 2018 beruflich sehr eingespannt war. 2002 wurde auch ich noch zum Geschäftsführer berufen.

Ein Haufen Quereinsteiger?

Die einzigen, die sich halbwegs mit dem Kinobetrieb auskannten, waren die Söhne des Kripobeamten, die als Vorführer beim Vorbesitzer des Kinos gearbeitet hatten. Wir mussten uns damals das Wissen mühsam erarbeiten, mit Unterstützung von Kinobetreibern aus dem Umland und des Kinobüros in Hannover.

Name: Cinema Salzgitter

Stadt: Salzgitter

Aktuelles Programm: https://www.cinema-salzgitter.de/

Eröffnet: 1970er-Jahre, Neueröffnung 1998

Kapazität: 1 Saal, 73 Plätze

Betreiber*in: Cinema Salzgitter-Bad GmbH, Geschäftsführung Claus Griesbach

Besondere Merkmale: Bürger*innenkino mit gemütlicher Wohnzimmeratmosphäre

Sie haben auch Ihren Mann eingebunden. Wie ist es dazu gekommen?

Lange Zeit galt das Kino bei uns zu Hause als drittes Kind. Mein Mann und ich sind von den ersten Stunden an dabei, er half im Winter 1997/98 beim Renovieren, ich versorgte derweil mit belegten Brötchen und Kaffee. Bei der Renovierung wurde zunächst alle Klappstühle ausgebaut. Als die Sitze wieder plaziert wurden, stellte man fest , dass der Klappmechanismus nicht funkionierte. Keiner wusste Rat. Ich schlug vor: Ich kann ja mal meinen Mann holen, er wird sicher helfen können.

Weil er eigentlich Landwirt ist, waren die anderen erst mal skeptisch, aber mein Mann hat ein technisches Verständnis wie kaum ein zweiter. Er hatte die Lösung parat und die Sitze funktionierten wieder. Später im Spielbetrieb, hat er mehr wie einmal die Vorstellung gerettet, wenn der Projektor seine Macken hatte. Zeitweise war es eine Wäscheklammer, die die Objektivklappe oben hielt, damit es nicht schwarz wurde auf der Leinwand. So manches Mal blieb der Traktor auf dem Feld stehen, weil ein Notruf aus dem Kino kam. Selbst zur Familienweihnacht am ersten Feiertag blieb ich mit der Verwandtschaft zurück, und er eilte ins Kino, um eine gemietete Vorstellung zu retten. Seitdem gibt’s am ersten Feiertag keine Vorstellungen mehr! Das Kino hatte bei uns Familienanschluss, auch unsere Tochter hat lange als Vorführerin mitgearbeitet.

Wie lief die die Programmgestaltung?

Es wurde ein Programmbeirat einberufen. Bernd Neidhart, einer der Geschäftsführer, hielt den Kontakt mit den Verleihfirmen. Leider merkten wir sehr schnell, dass sich unsere Ideen nicht umsetzen ließen. Zu der Zeit wurde noch montags telefoniert, um über die Filmstarts am Donnerstag zu sprechen. Dann hieß es nicht selten: Erst wenn die größeren Kinos den Film am Donnerstag doch nicht mehr wollen, könnt ihr noch mal anfragen.

© Cinema Salzgitter

© Cinema Salzgitter

Welche Pläne ließen sich nicht verwirklichen?

Wir zeigten Kinderfilme und mussten schnell einsehen: Kinder wollen einen Film sehen, wenn er neu rauskommt, um in der Schule mitreden zu können. Sechs bis acht Wochen nach dem Filmstart, wenn unser kleines Kino den Film bekommt, ist der Zug abgefahren. Deshalb entschlossen wir uns zu einem Kinderabspielring und zeigten Kinderfilmklassiker, aber auch das war nicht die Lösung. Mit den Klassikern fürs Seniorenkino war es ähnlich schwierig. Es hieß: Ach, das haben wir doch schon so oft im Fernsehen gesehen! Inzwischen haben wir haben bei der Filmauswahl für Senioren ein gutes Händchen entwickelt. Und bei den Kindern ist Schulkino für uns heute ein großes Thema.

Würden Sie das Cinema Salzgitter als wichtigen sozialen Ort bezeichnen?

Ja. Und daran hat das Stammpublikum einen großen Anteil. Bei uns trifft man sich, das ist ein bedeutender Punkt. Meistens ist jemand aus der Geschäftsführung vor Ort. Auch achten wir sehr darauf, dass unsere jungen Vorführer*innen auf das Publikum eingehen, der persönliche Touch ist wichtig.

Welche besonderen Strategien haben Sie mit den Jahren entwickelt, um das Cinema Salzgitter über Wasser zu halten und ihr Stammpublikum für sich zu gewinnen?

Seit über 20 Jahren gibt es den Kinofrühling. Die Idee meines Kollegen Bernd Neidhart, ein kleines Festival zu etablieren, in dessen Rahmen jeden Tag ein anderer Film gezeigt wird und man vor und nach dem Film bei Freigetränken, Snacks und netten Gesprächen über Filme und Sonstiges zusammensteht, tat sich in den ersten Jahren schwer. Mittlerweile hat sie sich zu einer wichtigen Kulturveranstaltung in Salzgitter gemausert. Die Leute bestellen schon Karten für den Kinofrühling, ohne das Programm zu kennen, nach den Filmen wird noch lange zusammengesessen. Es haben sich dort Freundschaften entwickelt.

Ursula Liebscher in der Mitte des Generationen übergreifenden Teams © Privat

Ursula Liebscher in der Mitte des Generationen übergreifenden Teams © Privat

War Corona die größte Krise seit der Eröffnung 1998?

Die größte Krise waren die ersten fünf, sechs Jahre, in denen der Steuerberater uns oft gewarnt hat, dass wir kurz vor der Insolvenz stehen – bis unser Vermieter die Miete runtergesetzt und noch dazu ein Projekt angestoßen hat. Passt auf, meinte er, es kommt doch gerade ein Harry Potter-Film. Versucht mal, den zu kriegen. Ich sponsere das für Schulen, so dass jede/r Schüler*in nur einen Euro bezahlen muss! Seine Initiative und Harry Potter haben uns gerettet. Dann kam ein neuer Vermieter, der die Miete wieder raufsetzte. Glücklicherweise hat sich ein Freundeskreis Cinema gebildet. Als wir etwa auf Digitalisierung umstiegen, hat der Freundeskreis 22000 Euro zugeschossen. Bis heute können wir auf die Hilfe des Freundeskreises bauen.

Und Corona?

Wir hatten Glück im Unglück. Es gab einen massiven Wasserschaden im Kino, lange wusste man nicht mal, wo er herkam. Der Saal, das Foyer und die sanitären Räume mussten komplett erneuert werden. Es dauerte fast ein Jahr, bis alles wieder in Betrieb war. So wurde die Zeit des Lockdowns gut genutzt. Jetzt strahlt das Kino wieder im neuen Glanz. 2023 waren die Zuschauer noch sehr verhalten, Corona wirkte noch nach...Seit letztem Jahr sind wir wieder "auf Kurs".

Jetzt ist offiziell Schluss für Sie. Aber als Gast werden Sie dem Kino ja sicher erhalten bleiben. Welchen Film würden Sie im Cinema Salzigitter gerne mal oder noch einmal sehen?

Es gibt so unglaublich viele Filme, die mich nachhaltig beeindruckt haben. Spontan würde ich sagen: Solino mit Moritz Bleibtreu. Der lief als erster Film in einer ganz frühen Ausgabe des Kinofrühling – und das Kino war ausverkauft. Da waren wir so stolz. Ich habe ihn seitdem schon mehrfach wieder gesehen und ich finde ihn immer noch sehr schön. Bohemian Rhapsody gehört auch zu den Filmen, die in Erinnerung bleiben, um noch einen zu nennen.

WF

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