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Harold und Maude: Zeitlose Liebe

Hal Ashbys Komödie aus dem Jahr 1971 gilt heute als »Kult«. Es ist ein Film zum Immer-wieder-neu-Verlieben. In die Liebe. Ins Kino. In die beiden Held*innen.

27. April 2023

Es gehört wohl zum Wesen der Kunst, dass sie Missverständnisse provoziert. So kanzelte der berühmte Filmkritiker Roger Ebert Hal Ashbys Harold und Maude im Erscheinungsjahr 1971 nicht nur ab – seine Begründung wird aus heutiger Sicht geradezu ad absurdum geführt: Der Tod könne potenziell witzig sein, begründete Ebert sein negatives Urteil, "aber nicht wie in Harold and Maude." Was er damit genau meint, bleibt schleierhaft, geht es in dieser "schwarzen Komödie", so wohl die offizielle Genre-Bezeichnung, gar nicht in allzu komischer Weise um den Tod. Vielmehr handelt der Film von echter Liebe und somit vom wahren Leben. Wenn er dafür auch dramaturgische Effekte nutzt, die uns übertrieben vorkommen mögen.

Blutiges Aufbegehren © Studiocanal

Blutiges Aufbegehren © Studiocanal

Es dauerte viele Jahre, bis Kritik und Publikum Ashbys Meisterwerk zu würdigen begannen. Seit 40 Jahren aber gilt Harold und Maude einer großen Fangemeinde als Kultfilm. Diese Geschichte einer unkonventionellen Liebe mag zunächst noch so manche/n Zuschauer*in durch die vordergründig humorvolle Thematisierung des Freitods tatsächlich irritiert haben. Aber die Sub- und Metaebenen des Films rechtfertigen seine Mittel. Kurz erklärt: Anhand spektakulär inszenierter Suizidversuche buhlt Harold – junger Mann aus gutem Hause –, um die Aufmerksamkeit der Mutter, andererseits sind sie Ausdruck seiner Coming-of-Age-Rebellion. Eine weitere morbide Vorliebe Harolds, der regelmäßig beim Psychoanalytiker auf der Couch liegt, wobei sich die Analogie zur Leichenbahre mitunter aufdrängt – ist der Besuch von Beerdigungen. Man kann schon sagen, dass der Flirt mit der Vergänglichkeit sein großer Spleen ist. Allmählich entwickelt sich der Exzentriker zum Horror-Tinder-Date avant la lettre für jene jungen Damen, die seine Mutter ihm vorstellt, da sie Harold verheiraten möchte. Der Sohnemann lackiert nicht nur den geschenkten Jaguar zum Leichenwagen um, er vergrault die potenziellen Gattinnen, indem er sich vor ihren Augen in Flammen setzt oder mir dir nichts die eigene Hand abhackt. Natürlich ist das alles gefaket und sein Dasein ein tristes Aufbegehren, das in seiner komplexen Leidenschaftlichkeit unbeantwortet bleibt, da der Mutter dafür der Sinn fehlt (und der Gesellschaft kann es erst recht egal sein). Bis er schließlich Maude trifft.

Blühendes Leben © Studiocanal

Blühendes Leben © Studiocanal

Gespielt wird die rüstige alte Dame von Ruth Gordon, die man aus Rosemary’s Baby kennt. Zunächst scheint es so, als würde sie die Vorlieben Harolds teilen, schließlich taucht sie ebenfalls bei Beerdigungszeremonien auf, wodurch die beiden sich näher kommen. Doch Maude ist anders als der von Bud Cort verkörperte Harold äußerst lebenslustig. Sie hat eine Vergangenheit als politische Aktivistin, und – hier sei noch mal an das Roger Ebert-Zitat vom komischen Umgang mit dem Tod erinnert – sie ist Überlebende des Holocaust. Was daran komisch sein soll? Eben. Daran ist nichts komisch. Deutlich sichtbar und angesichts der Kürze der Einstellung dennoch wie nebenbei erwähnt, ist die KZ-Nummer auf Maudes Unterarm im Bild. Und abgesehen von der Auseinandersetzung mit dem Onkel Harolds, der als hochrangiger Militär die Schrecken des Krieges mitsamt seiner Quasi-Armprothese personifiziert, die nur dazu da ist, den Soldatengruß zu vollführen, ist dies die zweite sehr deutliche Anspielung auf den Tod als politisch herbeigeführtes, statt als natürliches Phänomen. Noch im absurdesten Moment des Films, und davon gibt es einige in Harold und Maude, steckt eine tiefere Wahrheit.

Dabei sollten wir gar nicht erst den Fehler machen, die Liebe zwischen Harold und Maude, die sich auf so abenteuerliche wie zugleich ganz alltägliche Weise von Szene zu Szene mit herzerfrischender Romantik entfaltet, als absurd zu bezeichnen. Dafür passen die beiden nach dem Topf-Deckel-Prinzip zu gut zusammen, als dass der Altersunterschied – bei dem ursprünglich bloß die Tatsache als außergewöhnlich wahrgenommen worden sein dürfte, dass die Frau merklich älter ist als der Mann –, eine große Rolle spielen darf. Der Produktionsfirma war eine explizite Liebesszene damals noch zu heikel, heute ist die wenig subtile Anspielung auf sie für den Film vielleicht sogar ein Segen. Was bleibt, ist nämlich der Eindruck, dass die zum blühenden Leben strebende Maude, deren Zeit auf Erden sich dem Ende neigt, und der todessehnsüchtige Knabe Harold, dessen Leben quasi noch in den Kinderschuhen steckt, sich in der Mitte treffen, dass man auch ohne sexuelles Brimborium, an zeitgenössischen Standards gemessen und mit dem entsprechenden Vokabular feststellen kann: Es handelt sich um ein perfect match.

Gelackmeierter Cop

Gelackmeierter Cop

Die schicken Kostüme, die phantastische Ausstattung, die selbstbewusste Sensibilität, mit der Hal Ashby die Drehbuch-Vorlage von Colin Higgins umsetzte, und natürlich die Musik von Cat Stevens mit dem sich durch die Handlung ziehenden Scheißen-Sie-auf-die-Konvention-Motiv "If You Want To Sing Out, Sing Out" (dessen finstre Spiegelung in der Biografie des inzwischen fundamental-religiösen Musikers bei jedem Ton seiner so einschmeichelnden Songs als Wermutstropfen mitschwingt) tun ein Übriges, um den Film zu einem Genuss zu machen. Allein die Szenen, in denen es Maude gelingt, einen Motorrad-Cop sowohl zu verblüffen als auch zur Weißglut zu bringen und letztlich brillant auszutricksen – reines Kino-Gold! In Harold und Maude kann man sich immer wieder neu verlieben, egal wie alt die Geschichte oder man selbst ist.

WF

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