Beating Hearts von Gilles Lellouche ist zwar ein visuelles Feuerwerk, das man im Kino gesehen haben muss (wie wir bereits hier erklärt haben) – die Lovestory geht aber vor allem ans Herz, weil die Darsteller:innen des Pärchens Jackie und Clotaire so überzeugend sind. Deshalb kommen genau die hier zu Wort: Adèle Exarchopoulos und Mallory Wanecque, die die ältere und jüngere Jackie spielen, ebenso wie François Civil und Malik Frika, die den älteren und den Teenager-Clotaire spielen. Die Interviews wurden im Rahmen der Produktion des Presseheftes geführt.
Adèle und Mallory, könnt ihr beide etwas zu eurer Interpretation von Jackie sagen? Wie seht ihr sie? Wie hat sie sich in diesen Monaten der Dreharbeiten in euren Augen entwickelt?
Adèle Exarchopoulos: Um den Charakter Jackie in den Proben zu entwickeln, konzentrierte ich mich, ob mit Gilles oder François, auf ihre jugendliche und romantische Entwicklung. Ihre Jugend war voller Fantasien und Träume, die sie tief geprägt haben. Für mich ist Jackie jemand, die sich auf die Verlässlichkeit ihres Vaters stützt, während sie mit der völligen Abwesenheit ihrer Mutter zurechtkommen muss. Sie findet also Zuflucht in einer sehr engen Beziehung, aber ihr Fundament ist zerbrechlich, weil sie ihre Mutter in sehr jungen Jahren verloren hat und anderswo nach etwas Soliderem sucht. Sie ist stark, sehr einfühlsam und neugierig. Dann wird sie plötzlich von dieser immensen Trauer überwältigt, als Clotaire im Gefängnis landet. Sie ist überwältigt und versucht, in einer Art Verleugnung zu leben, als sie ihren späteren Ehemann Jeffrey trifft ... Das Schöne an Jackie ist, dass jede*r wie sie sein könnte. Wenn man sie trifft, würde man ihr nicht unbedingt die Herausforderungen anmerken, denen sie sich stellen musste. Erstaunlich ist, dass sie den Tod ihrer Mutter überwindet, aber die Trauer über den Verlust von jemandem, der noch am Leben ist, für sie fast unerträglich ist. Das ist eine Erfahrung, die viele Menschen teilen. Für mich ist sie eine Heldin, weil sie sich selbst rettet – und es ist das erste Mal, dass ich in einem Film eine Frau sehe, die das auf diese Weise tut. In der Telefonzellen-Szene ist es nicht Clotaire oder ihr Vater, die sie retten. Sie übernimmt die Kontrolle.
Mallory Wanecque: Malik und ich haben uns etwa fünf Monate lang mit einem Schauspiellehrer, Daniel Marchaudon, vorbereitet. Wir haben Texte gelesen und daran gearbeitet, wie Jackie denkt. Für mich ist Jackie ein starkes Mädchen, das sich nach dem Verlust ihrer Mutter selbst zurechtbiegen musste. Als Clotaire ins Gefängnis kommt, sehe ich das nicht als Verlassenwerden, sondern eher als Verlust einer zweiten Person, die ihr sehr wichtig war. In diesem Moment sehe ich ein entschlossenes und intelligentes Mädchen, das versucht, sich aus Angst, wieder verlassen zu werden, zu schützen. Sie ist stark und klug.
© Arthaus / Studiocanal
Es kommt in Filmen zum Glück sehr selten vor, dass eine Figur in verschiedenen Altersstufen zu sehen ist. Wie habt ihr diese ungewöhnliche Situation bei Beating Hearts empfunden?
A. E.: Lustig ist, dass mir oft gesagt wurde, Mallory sähe aus wie ich – noch bevor ich sie kennengelernt hatte. Ich fühlte mich sehr geschmeichelt, weil ich ihre Arbeit bereits kannte. Im Leben kann man so viele verschiedene Menschen sein, je nachdem, wer einen ansieht und was man gerade durchmacht, was ich äußerst interessant finde. Wir suchten bei uns nach Ähnlichkeiten in unserem Verhalten – zum Beispiel, wie sie eine Zigarette raucht. Ich habe an Sitzungen teilgenommen, in denen Mallory mit dem Schauspiel-Coach Daniel Marchaudon zusammengearbeitet hat, und ich habe sie auch allein beobachtet. Daniel und ich haben sie zum Beispiel gefragt, ob sie Clotaire im Gefängnis geschrieben hat oder ob sie an seine Unschuld glaubt. Fragen, die auch ich mir dann gestellt habe.
M. W.: Ich war nicht gestresst deswegen. Ich dachte eher: "Das muss funktionieren!" Wie Adèle schon meinte, sagten die Leute seit meinem ersten Film Les Pires – Die Schlimmsten oft, dass wir uns ähnlich sehen. Sei es in meinem Lächeln, meiner Sprechweise oder sogar in meiner Schauspielerei. Als ich erfuhr, dass ich mit Adèle spielen würde, und ihr jüngeres Ich verkörpere, war ich eher begeistert als gestresst.
Malik, François, was könnt ihr uns über Clotaire erzählen? Wie habt ihr diese Figur gesehen?
Malik Frikah: Clotaire wuchs in einer gewalttätigen Umgebung auf. Er kämpft jeden Tag gegen die Ungerechtigkeit des Lebens. Er ist sehr wütend auf sein Leben und hat Schwierigkeiten, sich mit Worten auszudrücken, also benutzt er stattdessen oft seine Fäuste. Er ist nicht jemand, der leicht Gefühle zeigt. Wir folgen ihm von seiner Kindheit an, in der er schon in sehr jungen Jahren mit sozialer Ungerechtigkeit konfrontiert wird, und das baut diese enorme Wut in ihm auf. Er ist wirklich verletzt von seiner Vergangenheit, von dem Leben, das er führt. Er fühlt sich abgelehnt. Er hat Schmerzen und die Art und Weise, wie er das ausdrückt, ist vielleicht nicht die beste, aber es ist seine Art. Dann lernt er ein Mädchen kennen und sie ist die erste Person, die ihm jemals vertraut hat. Clotaire möchte zeigen, dass er viel mehr ist als nur das Kind aus der rauen Nachbarschaft, das jeden Tag kämpft und Menschen verletzt. Er hat ein großes Herz, aber es fällt ihm schwer, es zu zeigen. Wenn er versucht, sich anderen zu öffnen, verschließen sie sich und gehen ihm aus dem Weg, und er fühlt sich oft isoliert. Die einzigen Menschen, bei denen er sich wohlfühlt, sind sein Bruder und sein bester Freund. Mit ihnen lebt er in einer Art Blase. Jackie, das Mädchen, das er trifft, ermöglicht es ihm, sich endlich zu öffnen. Sie ist die Einzige, die ihn wirklich versteht. Alle anderen reagieren ängstlich auf ihn und glauben zu wissen, wer er ist. Aber Jackie bildet sich ihre eigene Meinung. Die Begegnung mit Jackie ist ein großer Wendepunkt für Clotaire, und ab diesem Zeitpunkt sehen wir sein wahres Ich: einen verletzlichen Jungen, nicht den Teenager, der immer auf der Suche nach Gewalt und Konfrontation ist. Als er Jackie gegenübersteht, sieht er jemanden, der genauso verloren ist wie er.
François Civil: Clotaire ist in seinem sozialen Umfeld gefangen. Trotzdem findet er Schönheit in dem Schmutz, der ihn umgibt. Seine innere Poesie und sein Sinn für Schönheit stehen im Widerspruch zu der strengen Erziehung, die er von seinem Vater erhalten hat – der ihm beibrachte, Enttäuschungen zu vermeiden, indem er sich nie an jemanden bindet. Die Begegnung mit Jackie rettet ihn vor seiner eigenen Verzweiflung.
Malik erwähnte schon die soziale Ungerechtigkeit, mit der Clotaire konfrontiert ist, aber auch er selbst leidet unter einer persönlichen Ungerechtigkeit, da er fälschlicherweise eines Verbrechens beschuldigt wird. Ich habe die Figur an diesem Punkt aufgegriffen, als er sich selbst fast aufgegeben hat. Für mich ging es darum, die Feinheiten seines Innenlebens zu erforschen. Während Maliks Darstellung dieser Figur eine echte Ausstrahlung verleiht, bestand meine Aufgabe darin, einen ruhigeren, verzweifelten Clotaire zu zeigen, der immer aus dem Takt gerät. Ob in der Art, wie er spricht oder sich verhält, er scheint nicht ganz präsent zu sein. So wollte ich die Auswirkungen seiner Jahre im Gefängnis, in der Einsamkeit, zeigen.
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Habt ihr beide vor dem Drehen über die Figur gesprochen, um die Kontinuität zu gewährleisten, oder sind die zehn Jahre im Gefängnis genug, um eine so andere Figur zu schaffen, dass jeder von euch eine eigene Interpretation entwickeln konnte?
F.C.: Die zehn Jahre im Gefängnis gaben mir die Freiheit, eine andere Energie in die Figur zu bringen. Aber wir haben viel darüber gesprochen, wer er als Kind war, über sein Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung und seine Frustrationen. All dies nährt die Wut in ihm. Die positive Energie dieses Kindes wird durch die Härte seiner Umgebung und die Erziehung, die er erhält, verändert. Diese Dinge waren unsere Gemeinsamkeit. Wir konnten uns während der Vorbereitung gegenseitig beobachten. Ich erinnere mich sogar an Diskussionen darüber, wie Clotaire seine Zigarette hielt, wie er sie an seinen Mund führte. Auch wenn man das im Film nicht unbedingt bemerkt, ist es Teil der Darstellung, dass wir beide dieselbe Person spielen. In dieser Zeit entstand eine Art gegenseitiges Vertrauen.
M.F.: Ich arbeitete mit einem Schauspiellehrer, Daniel Marchaudon. Es ging nicht wirklich darum, den Text auswendig zu lernen, sondern vielmehr darum, die Psychologie der Figur zu verstehen, ihr Leben nachzuvollziehen und zwischen den Zeilen zu lesen. Das Ziel war es, die Rolle wirklich zu meiner eigenen zu machen, die Welt so zu sehen, wie Clotaire sie sieht, und das immer zu verteidigen. Ich wusste, dass François die Figur im zweiten Teil des Films spielen würde. Ich hatte volles Vertrauen in ihn, weil ich seine Arbeit schon immer bewundert habe, noch bevor ich ihn kennengelernt habe. Ich habe mich wirklich darauf konzentriert, in der Rolle des jungen Clotaire voll präsent zu sein. Ich habe nicht versucht, mich an der Entwicklung seiner Figur im zweiten Teil des Drehbuchs zu orientieren. Trotzdem haben François und ich uns gegenseitig viel beobachtet und während der Proben mit dem Rest des Ensembles viel Zeit in Marseille verbracht, damit wir die Figur gemeinsam verfeinern konnten. Es wurde auch viel körperliche Arbeit in die Figur gesteckt.
DK