Die Neapolitanische Saga von Elena Ferrante muss man heutzutage wohl den wenigsten vorstellen. Die vier Romane der unter Pseudonym schreibenden italienischen Autorin Ferrante (deren Identität bis heute unbekannt bzw. unbestätigt ist) wurden in 40 Sprachen übersetzt und verkauften sich millionenfach. Als der erste Band "Meine geniale Freundin" über die von Liebe, aber auch von Wut und Neid geprägte Freundschaft zwischen Elena Greco (Lenù) und Raffaella Cerullo (Lila) 2014 auf Englisch und Deutsch veröffentlicht wurde, brach weltweit das "Ferrante-Fieber" aus – ein Buch-Hype, wie man ihn lange nicht mehr erlebt hatte.
Für die Serienadaption Meine geniale Freundin, die 2018 ihren Anfang nahm, hatte Ferrante höchstselbst den italienischen Regisseur Saverio Costanzo ausgewählt – was anfangs vor allem bei den weiblichen Fans für Kritik gesorgt hatte. Auch Costanzo wusste nicht so recht, wie das passieren konnte. "Ich versuche noch immer die Frage zu beantworten: 'Warum ich?' Aber das kann ich nicht – weil ich nicht Elena Ferrante bin. Ich habe sie nicht gefragt, weil ich Angst hatte, ihr zu nahe zu kommen." So erzählte er zum Start der ersten Staffel dem Magazin der "New York Times". Ferrante kommunizierte schreibend mit ihm, kommentierte immer wieder Drehbuchteile und Dialoge, die sie missglückt oder auch gelungen fand – und legte sich dabei auch schon mal mit den Produzenten an, wenn es um Budget-Fragen ging. "Sie ist sehr stark – ich mag das", sagt Costanzo damals.
Für die finale Staffel der Serie, die dem Roman "Die Geschichte des verlorenen Kindes" entspricht, hatte nun wiederum Saverio Costanzo eine Wunschregisseurin gesucht und gefunden. Laura Bispuri führt in allen zehn Folgen Regie und zeigt sich schon früh als perfekte Wahl. In einem Interview mit dem Magazin "Elle" sagte die Italienerin: "Saverio rief mich an und fragte, ob ich die gesamte letzte Staffel drehen wolle, und ich konnte es erst kaum glauben. Für mich wurde ein großer Traum war, aber es war auch eine große Herausforderung und ich war fast zwei Jahre lang wie in einem Tunnel. Aber das war die einzige Möglichkeit, so in die Tiefe zu gehen."
Laura Bispuri kann dabei vor allem auf das setzen, was die Serie von Anfang ausgezeichnet hatte: ein geradezu perfektes Casting. Ferrantes Geschichte erstreckt sich über mehrere Jahrzehnte und musste insgesamt dreimal die Hauptdarstellerinnen wechseln. Diesmal sehen wir vor allem Alba Rohrwacher als Lenù und Irene Maiorino als Lila. Die Geschichte setzt ein, als Elena Greco (Lenù) in den 80ern als erfolgreiche Schriftstellerin in ihre Heimatstadt Neapel zurückkehrt. Dort verbringt sie wieder mehr Zeit mit Raffaella Cerullo (Lila).
Lenù ist noch immer in den vordergründig charismatischen Nino verliebt, den Lila schon lange als Wendehals, Stelzbock und Lügner entlarvt hat. Trotzdem beendet Lenù ihre Ehe und wirft sich in eine Beziehung mit Nino, sehr zum Ärger ihrer Schwiegereltern – und auch ihre Töchter sind nicht wirklich begeistert. Im Laufe der Serie und der Jahre leben Lenù und Lila mit ihren Kindern im gleichen Haus – und wer die Bücher kennt, weiß, dass das mitnichten eine harmonische Hippie-Kommune ist. Vor allem als Lilas Tochter verschwindet, was den Titel des Buches und der Staffel erklärt, wird die Situation emotional herausfordernd.
Alba Rohrwacher als Lenù und Irene Maiorino als Lila
Meine geniale Freundin ist eine wundervoll ausgestattete und gefilmte Serie, und trotzdem bewegt die vierte Staffel vor allem, weil Laura Bispuri immer ganz nah rangeht und das faszinierende Neapel der 80er in Schlüsselszenen vor der Tür lässt. Die intensivsten Szenen sind ein emotionaler Nahkampf der Hauptdarstellerinnen, wenn die Kamera sich ganz auf Irene Maiorinos brillantes Spiel als Lila und ihr geheimnisvolles Gesicht konzentriert, oder wenn die einst so unsichere Lenù langsam zur Stimme der Vernunft wird, eine schleichende Wandlung, die von Alba Rohrwacher sehr fein justiert gespielt wird. Die pointierten Dialoge verstärken dieses Fieber noch, zum Beispiel wenn Lila Sätze wie diese sagt: "Sieh mich an, Lenu. Es ist gemein, dir das zu sagen, aber Nino ist viel gemeiner als ich. Er ist gemein, denn er hat kein Herz."
Aber auch der übrige Cast, allen voran Lenùs und Lilas Kinder, die oft unter den beiden leiden und sie trotzdem lieben, überzeugt in jeder Szene. Inmitten der eskalierenden Konflikte und Nervenzusammenbrüche sagt Lila einmal den starken Satz: "Aber nur in schlechten Romanen haben immer alle recht." Es klingt wie die – oder zumindest eine – Essenz der Neapolitanischen Saga.
Laura Bispuri erklärt ihren Ansatz im "Elle"-Interview so: "Ich denke, als Frau spüre ich sehr genau, dass diese Figuren sehr unterschiedlich sind, und ich habe versucht, das zu zeigen. Ich wollte die menschlichen und zerbrechlichen Seiten von Lila zeigen, aber im Gegensatz dazu habe ich versucht, dasselbe mit Elena zu tun – ihre Stärke zu zeigen, die über Jahre etablierte Dynamik zwischen ihnen zu verändern. Ich habe also versucht, mich in sie hineinzuversetzen und eine enge Beziehung zu diesen Figuren zu spüren."
Bispuri habe dabei vor allem das einfangen wollen, was sie "die Ferrante-Atmosphäre" nennt. Die eben immer dann entsteht, wenn die vielschichtigen Charaktere im direkten Austausch sind. "Es ist keine Action-Serie", sagt Bispuri. "Mein Stil ist sehr einfach, ich mache gerne lange Einstellungen. Ich mag es nicht, die Schauspieler zu unterbrechen. Ich möchte eine physische Beziehung zwischen der Kamera und den Schauspielerinnen."
Diese Beziehung glaubt man, vor allem in den letzten beiden Folgen, irgendwann auch als Zuschauer*in zu haben. Deshalb treffen jene Sätze der letzten Folge, die das nahende Ende dieser wundervollen Geschichte vorwegnehmen, besonders hart: "Ich bin so froh, dass wir Freundinnen waren", sagt Lila beim letzten Gespräch der beiden vor ihrem Verschwinden. Dann macht sie eine kurze Pause und ergänzt: "Und es immer noch sind."
Mindestens für diesen Moment sollte man Taschentücher bereitlegen – und vielleicht sogar die vier Ferrante-Romane, die man nach diesem tollen Serienfinale gleich noch einmal lesen will.
DK