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Alejandro Amenábar über The Others: "Das Leben in der Vorhölle ist gar nicht so schlecht"

Mit dem Mystery-Thriller setzte der in Chile geborene Regisseur zu Beginn des Jahrtausends neue Maßstäbe des Unheimlichen. Wir sprachen mit ihm über den Film, der ihn gewissermaßen befreite.

09. Oktober 2023

Herr Amenábar, hatten Sie als Kind Angst vor Gespenstern?

Ich hatte vor absolut allem Angst: vor Geistern, Monstern, Mördern, Fluren, Wasserbecken... und generell vor jeder Situation, in der ich mich allein fühlte und in der es wenig Licht gab.

Die Kinder, die Geschwister Anne und Nicholas, spielen eine wichtige Rolle in The Others. Wie haben Sie sie gecastet, was ist das Interessante an der Arbeit mit Kindern am Set – und haben Sie noch Kontakt zu den Schauspielern?

Leider habe ich keinen Kontakt mehr zu den Kindern von The Others. Ich habe selbst keine Kinder, und ich nehme an, dass diese Erfahrung des Films dem am nächsten kam. Der Casting-Prozess war mühsam, vor allem im Fall der Figur der Anne. Wir suchten ein Mädchen, das in der Lage war, jemanden vom Kaliber einer Nicole Kidman verbal und psychologisch zu konfrontieren, und nach vielen Monaten erschien Alakina Mann, ein ebenso süßes wie intelligentes Mädchen, das in der Lage war, ihre Dialoge mit Nuancen zu füllen. James Bentley, der Nicolas spielte, hatte eine seltene Eigenschaft, die es ihm ermöglichte, seine Figur in jeder Szene sauber zu verkörpern. Ich kann mich praktisch nicht daran erinnern, dass ich bei ihm Regie führen musste.


Die Welt in The Others wirkt von Anfang an unwirklich und beunruhigend, und doch können wir nicht sicher sein, woher das Beunruhigende rührt, abgesehen von der Seltsamkeit der Lichtallergie der Kinder. Wie haben Sie die Atmosphäre der Situation geschaffen - sozusagen das "Look and Feel" der Situation?

Da wäre das Produktionsdesign, mit dem ein Herrenhaus nachgebaut wurde, das an viele klassische Geisterfilme erinnert, die ich gesehen habe, mit grauen und gedämpften Tönen; die Kameraarbeit von Javier Aguirresarobe, der versuchte, den Halbschatten darzustellen, jenen leuchtenden Rand zwischen totaler Dunkelheit und Licht, in diesem Fall immer schummrig und dunstig; und das Sounddesign. Wie vertont man einen Horrorfilm, in dem es keinen Regen, keinen Donner, keinen Wind, kein fernes Heulen... geben kann? Nicht einmal Vögel oder Grillen. Wir beschließen, dass es in der Vorhölle nichts gibt: nur Geister und Nebel.Das war also die Herausforderung: das Wesen vom Nichts zu finden.

Das Licht, die Musik, die Kostüme, jede Bewegung oder sogar Geste der Figuren, jeder Kamerawinkel scheint genau inszeniert... Wie viel haben Sie geplant, wie viel wurde improvisiert?

Ich bereite Filme sehr akribisch vor. Filmen ist ein Kampf gegen die Uhr, also investiere ich wirklich viele Stunden in die Vorarbeit.Für mich ist das wie die Vorbereitung auf eine Universitätsprüfung. Je mehr man gelernt hat, desto besser werden die Ergebnisse sein. Ich bereite mich auf allen Ebenen vor: Proben, historische Recherchen, technisches Drehbuch, Storyboards... Aber wenn ich am Set ankomme, möchte ich offen sein für den Zauber des Unerwarteten. Und das kommt fast immer von den Schauspielerinnen und Schauspielern. Wenn man jemanden hat, der so talentiert ist wie Nicole Kidman, muss man für ihre Vorschläge empfänglich sein, denn einige sind einfach brillant. Ein Beispiel: als Grace beschließt, mit ihrem Mann ein intimes Gespräch zu führen, schlug sie vor, die Szene mit dem Ausziehen ihrer Kleidung zu beginnen. Als Metapher war das perfekt.

Straßenfeger mit unheimlicher Atmosphäre © 2001 / Sociedad General de Cine S.A. - Las Producciones del Escorpion S.L.

Straßenfeger mit unheimlicher Atmosphäre © 2001 / Sociedad General de Cine S.A. - Las Producciones del Escorpion S.L.

Für mich ist die Filmmusik der "Special Effect" des Films. Wie würden Sie Ihre Beziehung als Autor zu Ihnen als Komponist und zu Ihnen als Regisseur des Films beschreiben?

Bei The Others habe ich das Drehbuch geschrieben, Regie geführt und die Musik komponiert, und in allem habe ich versucht, das zu liefern, was in diesem Moment erforderlich war. Ich habe aus absoluter Freiheit heraus geschrieben, mit dem einzigen Wunsch, mich zu amüsieren. Als Regisseur habe ich mich dann um die Dreharbeiten, die Beziehung zu den Schauspieler*innen und die Streitigkeiten beim Schnitt gekümmert und dabei meinen "Stolz" als Drehbuchautor völlig vernachlässigt. Wenn ein Dialog geändert oder gestrichen werden musste, tat ich das ohne mit der Wimper zu zucken. Als Musiker begann meine Arbeit, sobald der Film fertig geschnitten war. Ich schloss mich in meinem Studio mit meinem Keyboard und meinen Samplern ein und versuchte, die musikalische Seele des Films zu finden. Und ich bin stolz darauf. Es ist wahrscheinlich die beste Musik, die ich je für einen Film komponiert habe. Aber auch hier hätte ich als Regisseur im Mischraum jedes Musikstück gnadenlos löschen oder verändern können, wenn die Geschichte es verlangt hätte.

Die Geschichte von The Others dreht sich um Grace, die von Nicole Kidman gespielt wird, die ich selten in einer Rolle gesehen habe, die so gut zu ihr passt wie diese einerseits sehr strenge und religiöse, andererseits aber auch sehr einsame und verletzliche Person. Wie war es, mit Nicole Kidman zu arbeiten?

Ich habe viel von Nicole gelernt, was die Schauspielerei angeht. Die Bedürfnisse derjenigen zu respektieren, die vor der Kamera stehen. Ich bin überzeugt, dass der Erfolg von The Others auf eine ganz besondere Synergie zurückzuführen ist, die zwischen uns entstanden ist. Wir drehte mit ihr in Spanien, in einem Land, das sehr weit von ihrer Realität entfernt ist, aber sie vertraute mir vollkommen. Und jedes Mal, wenn ich mir nach dem Dreh die Aufnahmen des Tages ansah, konnte ich nicht anders, als dankbar zu sein, dass ein Hollywood-Star uns mit seiner Anwesenheit und seinem Talent gesegnet hatte.

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Das Ganze spielt sich auf einer Insel ab, in einem fast leeren Haus. Das scheint schon ein klassisches Horrorfilm-Setting zu sein. Aber der Schauplatz ist auch in anderer Hinsicht so real wie nicht von dieser Welt: es ist eine Insel im Ärmelkanal, die von Nazi-Deutschland besetzt war. Und dann ist da noch der Nebel und Mrs. Mills, Mr. Tuttle und Lydia... Die Bedrohung kommt also von innerhalb und außerhalb des Hauses?

Der Schauplatz wurde nach mühsamen historischen Recherchen festgelegt. Mein ursprüngliches Drehbuch spielte in Chile, meinem Geburtsland. Auch nachdem wir die Handlung in ein britisches Umfeld verlegten, wollten wir die katholische Religion anstelle der anglikanischen beibehalten. Und da stießen wir auf die Kanalinseln, die eine sehr merkwürdige Geschichte haben, in der sich englische und französische Einflüsse vermischen. Die Tatsache, dass die Inseln während des Zweiten Weltkriegs von den Nazis besetzt worden waren, fügte der Situation von Grace und ihrer Familie nur interessante Nuancen hinzu, und wir beschlossen, dies miteinzubeziehen. Die Bedrohung in The Others kommt scheinbar von überall her. Aber nachdem wir den Film gesehen haben, erkennen wir doch, dass es keine Bedrohung gab. Es gibt kein böses Wesen, das es zu exorzieren gilt, das Haus explodiert schließlich nicht oder geht in Flammen auf. In diesem Sinne möchte ich meinen, dass das Gefühl, das das Publikum überkommt, mit dem Gefühl am Ende von Unheimliche Begegnung der dritten Art vergleichbar ist: Befreiung und Optimismus. Das Leben in der Vorhölle ist gar nicht so schlecht.

Angesichts der latenten Bedrohungen haben wir den Eindruck, dass Grace die Kontrolle über die Umstände, ihre Familie und ihren eigenen Geist behalten will.Könnte man sagen, dass die Religion das Mittel ist, um das zu erreichen?Ist das auch eine Metapher dafür, wie sehr unsere Realität dem geschuldet ist, was wir über sie glauben?

Vermutlich jede/r hat nach dem Anschauen des Films andere Metaphern oder Interpretationen im Kopf. Für mich stellt es sich so dar: Licht ist Wissen und Dunkelheit ist Aberglaube. Grace versucht (natürlich aus medizinischen Gründen), ihre Kinder vor dem Licht zu schützen, aber tief im Inneren versucht sie auch, ihnen die Prinzipien einer starren und extrem naiven Weltsicht beizubringen. Daher muss ihre Reise radikal sein: vom Licht zur Dunkelheit. Die Frage "Wo sind wir?" am Ende des Films ist der Ausgangspunkt für eine neue Weisheit.

Hollywood-Star in ungewohntem Ambiente © 2001 / Sociedad General de Cine S.A. - Las Producciones del Escorpion S.L.

Hollywood-Star in ungewohntem Ambiente © 2001 / Sociedad General de Cine S.A. - Las Producciones del Escorpion S.L.

Verschlossene Türen sind in The Others sehr präsent. Während ihre Mutter versucht, sie zu "beschützen", scheinen die Kinder mehr und mehr der Schlüssel zur Lösung (oder zur realen Welt) zu sein. Glauben Sie, dass wir in gewisser Weise den Kontakt zur Realität verlieren, wenn wir erwachsen werden? Haben Kinder einen Sinn dafür, der den Erwachsenen fehlt?

Dieser Ansatz ist interessant, denn Kinder sehen die Dinge manchmal mit einem klaren Blick, frei von Vorurteilen. Wir Erwachsenen glauben fast automatisch an das, was uns beigebracht wurde oder an das, was wir in den Medien sehen und hören. In diesem und in einigen anderen Filmen denke ich tatsächlich über die beispiellose Fähigkeit des Menschen nach, den Kontakt zur Realität zu verlieren und sich täuschen zu lassen.

Krieg und Trauma - zeitlose Phänomene, genauso wie Liebe und Hoffnung.Die Art und Weise, wie Sie damit im Film umgehen, sowie die Virtuosität der spannenden Erzählung sorgen dafür, dass man The Others immer noch mehr als ein- oder zweimal ansehen kann, obwohl er einen Killer Twist hat. Welche Rolle spielt der Film in Ihrem Leben und wie sehen Sie ihn heute?

Natürlich hat der Film mein Leben verändert.Er war ein weltweiter Erfolg, der es mir ermöglichte, bequem zu leben und meine Karriere unter einer für mich grundlegenden Prämisse fortzusetzen: Freiheit. Mit dem Erzählen von Geschichten kann ich nicht nur meinen Lebensunterhalt verdienen und meine Rechnungen bezahlen. Es ist vor allem eine Form des Ausdrucks. Ich sage, was ich denke, was ich fühle. Und ich denke, dass The Others der Film war, der mir diesen wichtigen Teil meines Lebens am besten verständlich gemacht hat: Freiheit.

Kinder mit besonderer Ausstrahlung © 2001 / Sociedad General de Cine S.A. - Las Producciones del Escorpion S.L.

Kinder mit besonderer Ausstrahlung © 2001 / Sociedad General de Cine S.A. - Las Producciones del Escorpion S.L.

Haben Filme wie Rosemary's Baby oder Wenn die Gondeln Trauer tragen oder irgendein anderes Kunstwerk ihre Ideen für The Others inspiriert? Und welche Filme jagen Ihnen immer noch Angst ein?

Rosemary's Baby ist ein Meisterwerk, das ich mir jedes Jahr ansehe, fast immer um Weihnachten herum. Es ist auch ein Film mit einer überraschenden Wendung am Ende, aber obwohl ich das weiß, bewundere ich die Darbietungen, die Atmosphäre, die Musik... es ist möglicherweise der Film, in dem ich Träume am besten dargestellt gesehen habe. Ein weiterer Film, der mich zu The Others inspiriert hat, war Schloß des Schreckens, und natürlich Das Grauen, einer der gruseligsten Filme, die ich je gesehen habe. Er kommt fast ohne Spezialeffekte aus und schafft es dennoch, mich zu beunruhigen. Wenn ich ihn gucke, sehe ich zu, von Freunden umgeben zu sein......

WF

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