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Hinter den Tonspuren: Black Box – Gefährliche Wahrheit

Der Regisseur und Drehbuchautor Yann Gozlan führt uns in Black Box – Gefährliche Wahrheit hinter die Kulissen eines Flugzeug-Absturzes. Pierre Niney brilliert in der Rolle des Blackbox-Analysten Mathieu.

Das Lichtspiel einer Landebahn im Nachtanflug. Das Auf und Ab der Zacken einer Tonspur, auf der man die letzten Geräusche vor dem Absturz eines Flugzeuges hört. Die vorsichtigen Handgriffe beim Aufbrechen einer Blackbox. Der konzentrierte Blick jener Expert*innen, die nächtelang mit Kopfhörern auf den Bildschirm starren, um Funksprüche, Motorengeräusche, statische Elektrizität und seltsame Störungen zu identifizieren. Die letzten Schreie vor dem Aufprall, zerschreddert von überreizten Mikrofonen und dem Krachen von zerberstendem Metall.

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Yann Gozlans kühl gefilmter, faszinierender Thriller Black Box – Gefährliche Wahrheit führt uns in eine Welt, die man selten zu sehen bekommt: Mitten hinein in die Räume der französischen Behörde BEA, die für die Untersuchung von Flugunfällen zuständig ist. Eigentlich erstaunlich: Obwohl es dutzende Flugzeug-Katastrophen-Thriller gibt und man zu gerne mit reißerischen Szenen aus dem Inneren eines Flugzeuges die Ängste seines Kinopublikums triggert, konzentrieren sich wenige Regisseure auf die nicht minder spannenden, aber deshalb visuell herausfordernden Prozesse, die einen Linienflug – oder im schlimmsten Fall: einen Absturz – umgeben. Regisseur Gozlan, der mit Nicolas Bouvet, Simon Moutairou und Jérémie Guez auch das Drehbuch schrieb, durfte dabei sogar in den Räumen der BEA-Zentrale in Le Bourget drehen, was sicher auch zum realistischen Setting beiträgt.

Im Privaten brisant: Mathieus Ehefrau (Bildmitte) hat gerade die BEA verlassen, um für jene Firma zu arbeiten, deren Prestige-Modell Atrian 800 da gerade in den Alpen abgestürzt ist. © Studiocanal GmbH

Im Privaten brisant: Mathieus Ehefrau (Bildmitte) hat gerade die BEA verlassen, um für jene Firma zu arbeiten, deren Prestige-Modell Atrian 800 da gerade in den Alpen abgestürzt ist. © Studiocanal GmbH

Black Box – Gefährliche Wahrheit ist Thriller und Charakterstudie zugleich. Im Mittelpunkt steht der Blackbox-Analyst Mathieu, gespielt von Pierre Niney. Ein Genie, das für einen Job brennt, aber zwischenmenschlich nicht immer den richtigen Ton trifft. Mathieus große Gabe ist sein präzises Gehör. Er hört, wenn ein Zahnrad klackert, merkt, wenn es rauscht, wo es nicht rauschen sollte, hört das statische Knistern, wenn ein Flugzeug durch eine Wolke fliegt. Als ein eigentlich brandneues Flugzeug auf der Strecke von Dubai nach Paris in den Alpen abstürzt, wird Mathieu erst außen vor gelassen und dann plötzlich zum Chefermittler ernannt. Im Privaten brisant ist außerdem, dass Mathieus Ehefrau gerade die BEA verlassen hat, um für jene Firma zu arbeiten, deren Prestige-Modell Atrian 800 da gerade in den Alpen abgestürzt ist. In einer besonders eindringlichen Szene sieht man wie Mathieu mit Noise Cancelling Kopfhörern inmitten eines Empfangs des neuen Arbeitgebers seiner Frau steht. Er hört die Black-Box-Audio-Aufnahmen des Absturzes – die Schreie, die Panik, die Störgeräusche – während die Kamera über die Sekt trinkenden, networkenden Luftfahrt-Lobbiesten gleitet.

Der Blackbox-Analyst Mathieu, gespielt von Pierre Niney, ist ein Genie, das für einen Job brennt, aber zwischenmenschlich nicht immer den richtigen Ton trifft. © Studiocanal GmbH

Der Blackbox-Analyst Mathieu, gespielt von Pierre Niney, ist ein Genie, das für einen Job brennt, aber zwischenmenschlich nicht immer den richtigen Ton trifft. © Studiocanal GmbH

Yann Gozlan schafft es in Black Box – Gefährliche Wahrheit immer wieder, in grauen Räumen voller karger Schreibtische und Hemd tragender Beamter eine Spannung zu erzeugen, die andere nicht mit CGI-Geballer und Orchester-Soundtrack hinbekommen. Das liegt an seinem genauen Blick, am nuancierten Spiel von Pierre Niney, am tighten Drehbuch voller cleverer Wendungen und vor allem am faszinierenden Sounddesign. Wenn Mathieu vor dem Bildschirm sitzt, um zu x-ten Mal die Soundfiles zu analysieren oder aber, wenn er durch die Trümmerteile und den Nachbau der Sitzreihe schreitet und dabei die Funksprüche hört, ist oft der Sound der Star, wenn sich zu den Black-Box-Tonspuren ein anschwellender, nervös machender Score gesellt.

Der im Deutschen etwas reißerische Titel haut einem natürlich schon mit dem Hammer die Erkenntnis ins Gesicht, dass in diesem Fall nichts ist, wie es anfangs scheint. Oder eben doch? Mathieu wird einerseits erstaunlich oft von seiner Frau und von seinen Vorgesetzten gebeten, sich nicht zu verbeißen. Einmal sagt ihm sein Boss: "Passen sie auf, dass sie nicht überinterpretieren, Mathieu. Es wäre nicht das erste Mal. Ich weiß, dass sie es gut machen wollen, aber vor lauter Filtern und Equalizern hört man am Ende nur noch das heraus, was man will." Auch seine Frau betont immer wieder, dass sein Job doch faszinierend, aber oft frustrierend sei, weil man ja im Grunde nie wisse, wie es wirklich war.

Die Wrackteile und das Modell der Passagier-Reihen des abgestürzten Flugzeugs. © Studiocanal GmbH

Die Wrackteile und das Modell der Passagier-Reihen des abgestürzten Flugzeugs. © Studiocanal GmbH

Mathieu verbeißt sich tatsächlich in dem Fall, gerade weil ihm so oft gesagt wird, er solle ihn ruhen lassen. Yann Gozlan folgt ihm dabei in jede vermeintliche Erkenntnis, in jede Sackgasse, in jede neue Wahrheit – und vor allem: bis an den Rande des Nervenzusammenbruchs. Denn auch das zeigt dieser Film: die mentalen Stürme, die nicht ausbleiben, wenn man hauptberuflich Menschen beim Sterben zuhört und für Leute arbeitet, die manchmal die Wahrheit gar nicht sehen wollen. Weil sie die für Frankreich ja ach so wichtige Flugzeugbranche treffen würde. Trotzdem erliegt Gozlan nicht der Versuchung zu simpler kapitalistischer Feindbilder. Selbst das Handeln der Bösewichter und Vertuscherinnen erscheint bei ihm schlüssig und menschlich.

Wie sich die Gefährliche Wahrheit in Black Box nach gut zwei Stunden Spielzeit auflösen oder vielmehr zeigen, sei an dieser Stelle noch nicht verraten. Langweilig oder unrealistisch wird es auf dem Weg dahin jedoch nie. Im Gegenteil: Man hätte sich diesen präzisen, fesselnden Thriller fast noch ein wenig länger gewünscht. Andererseits ist Gozlans Film vielleicht gerade deshalb so gelungen – weil er nicht der Versuchung erlegen ist, daraus eine achtstündige Netflix-Serie gemacht zu haben.

DK

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