Antoine de Saint-Exupéry hätte gar kein erfolgreicher Schriftsteller werden müssen, um ein außergewöhnliches, beeindruckendes Leben zu führen: Als Pilot leistet er Pionierarbeit, stellt Rekorde auf, überlebt so manche Bruchlandung und dient im Krieg. Das Fliegen ist seine Priorität, seine Berufung. Dennoch ist er bereits zu Lebzeiten erfolgreicher und preisgekrönter Autor und Journalist; erlebt und erreicht viel, bevor er im Alter von nur 44 Jahren stirbt.
Einer dieser unglaublichen Episoden im Leben von Antoine de Saint-Exupéry, dem Piloten, widmet sich der neue Film Saint-Exupéry – Die Geschichte vor dem kleinen Prinzen von Regisseur und Drehbuchautor Pablo Agüero (Primera Nieve). „Ich wurde am Fuß des Aconcagua geboren, dem gleichen Ort, den Saint-Exupéry täglich überflogen hat, als er unermüdlich nach seinem verschollenen Freund suchte. Zuhause gab es nur ein Buch: Der kleine Prinz. Diese philosophische Erzählung hat mir dabei geholfen, die extreme Unsicherheit meiner Lebensumstände zu überkommen und mich dazu angeregt, mein eigenes imaginäres Universum zu erschaffen“, erklärt der Regisseur zu seiner Motivation. „Ich wollte dem kleinen Prinzen nur zurückgeben, was er mir gegeben hat.“
Das Drama Agüeros erzählt eine Woche aus dem Jahr 1930 nach, die man kaum glauben kann: Saint-Exupéry, gespielt von Louis Garrel (Mein Ein, mein Alles, Die Frau im Mond - Erinnerung an die Liebe), arbeitet gerade für das französische Luftpostunternehmen Aéropostale in den argentinischen Anden. „Die Post ist wichtiger als das Leben“, steht auf seinem Wappen – mehr als nur leere Worte, wie die riskanten Flüge der Belegschaft beweisen, die das Unternehmen über Wasser halten sollen. Der Franzose war nach einer wenig beständigen und erfolgreichen Schul- und Studienzeit 1929 dort stationiert worden; zu diesem Zeitpunkt hat er bereits seine erste, thematisch naheliegende Novelle L’Aviateur (1925) veröffentlicht. Im Roman Nachtflug (1931) verarbeitet er schließlich auch seine Zeit in den menschenfeindlichen Weiten der Anden, wo er unter anderem für hochgefährliche Nachtflüge verantwortlich ist. Das Buch soll mit zu seinem Durchbruch als Schriftsteller beitragen. Es handelt vom tödlichen letzten Unwetterflug eines Postpiloten in Argentinien. Damit schildert der Autor eine düstere Version echter Geschehnisse.
Bei seinem Job bei der Luftpost immer an seiner Seite: Sein bester Freund Henri Guillaumet – ein als Wunderjunge gehandelter Pilot und Luftfahrtpionier Frankreichs. Im Film wird Guillaumet vom immer hervorragenden Vincent Cassel (Irreversible, Pakt der Wölfe) als weiser Mentor gespielt, tatsächlich ist er jedoch zwei Jahre jünger als der 1900 geborene Saint-Exupéry. Zeit seines Lebens überfliegt Guillaumet 193 mal die Anden – doch dieses Mal, bei Flug 192, geht er auf der Suche nach einer schnelleren Flugroute durch das Gebirge verschollen. Saint-Exupéry (im Film Saint-Ex genannt), begibt sich zusammen mit Guillaumets Frau Noëlle (Diane Kruger) auf die gefährliche Suche.
Antoine de Saint-Exupéry (Louis Garrel) und Henri Guillaumet (Vincent Cassel) © Cheyenne Federation / Studiocanal / Frakas Productions
Saint-Exupéry – Die Geschichte vor dem kleinen Prinzen illustriert dieses Heldenepos mit imposanten, traumartigen Aufnahmen verschneiter Landschaften, turbulenter Flugmanöver und den majestätischen Anden. Es ist ein Film voller Märchenhaftigkeit und Fantastik, der es mit der Realität nicht immer so genau nimmt. Aber was sollte er auch sonst sein? Agüero wollte ganz explizit kein strenges Biopic drehen, sondern den Geist und die Weltsicht von Saint-Ex auferstehen lassen. Wir sehen ihn durch eisige Höhen stapfen, seine Maschine zwischen weißen Gipfeln umherziehen, sein Notizbuch mit Skizzen und Fantasien immer griffbereit. Es ist eine unglaubliche Geschichte, aber auch eine wahre: Der Schriftsteller hat sie selbst in seinem Roman Wind, Sand und Sterne beschrieben. Fast eine Woche watet Henri Guillaumet nach seinem Absturz im Juni 1930 bei Minusgraden durch den Schnee – ohne Verpflegung, ohne Ausrüstung, lediglich am Leben gehalten von den Gedanken an seine Frau und Freunde. Schließlich erreicht er ein Dorf; die Bewohner:innen trauen ihren Augen kaum. Als sein Freund Antoine de Saint-Exupéry ihn dort aufsammelt, sollen seine Worte sein: „Ich kann dir sagen: was ich getan habe, kein Tier hätte es fertiggebracht!“
Saint-Exupéry – Die Geschichte vor dem kleinen Prinzen porträtiert den Franzosen so, wie man sich den Autor dieses Megasellers etwas ideell verklärt vorstellt: abenteuerlustig, hoffnungsvoll und mit einer lebendigen Fantasie. Er unterhält sich mit Robben und erkennt einfühlsam Dinge, die anderen verborgen bleiben. „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, flüstert der kleine Prinz dazu in unseren Köpfen. Saint-Exupéry ist jedoch kein realitätsferner Träumer, sein Kopf nur beim Fliegen in den Wolken. Stattdessen helfen ihm seine Vorstellungskraft und Einfühlsamkeit bei seiner riskanten Rettungsaktion. Am Himmel beobachtet er die Andenkondore ihre Kreise ziehen und weiß, was er zu tun hat. „Saint-Exupéry hat uns beigebracht, dass die Vorstellungskraft ein sehr praktisches Mittel sein kann, die Realität zu ändern. Sie ist keine Flucht, sondern ein Werkzeug, um die Realität zu formen“, sagt Regisseur Agüero in einem Interview dazu.
Auch wenn das Drama nur eine kurze Phase im Leben des Autoren beleuchtet, klingt viel seines Lebens darin an: der frühe Tod seines Bruders, sein kurzes Aufeinandertreffen mit dem Tod, als er als Versuchspilot für Wasserflugzeuge einmal fast ertrinkt, aber auch sein viel zu früher Tod während des Zweiten Weltkriegs. „Es ist die Woche, in der er sich selbst findet, in der er sein größtes Abenteuer erlebt, ein großer Pilot und Autor wird sowie die Inspiration für sein berühmtestes Werk findet“, meint Pablo Agüerro, vielleicht etwas überhöht.
Antoine de Saint-Exupéry (Louis Garrel) und Noëlle Guillaumet (Diane Kruger) © Cheyenne Federation / Studiocanal / Frakas Productions
Skurillerweise spiegelt auch der Unfall Guillaumets das Leben und Schicksal seines Freundes: Saint-Exupéry rettet in den 1920ern über ein Dutzend notgelandete Piloten in der damaligen Kolonie Spanisch-Marokko, bekommt dafür den höchsten Zivilorden Frankreichs verliehen. Auch er selbst stürzt 1935 einmal über Ägypten ab (man sieht: Abstürzen gehört damals quasi zum Tagesgeschäft) und muss fünf Tage auf der Suche nach Hilfe durch die Wüste irren. Und auch er verschwindet auf einem Flug spurlos. Gefunden wird er jedoch nie: Nach seinem letzten Aufklärungsflug am 31.7.1944 gilt er als verschollen, erst Jahrzehnte später wird seine Maschine gefunden; die Absturzumstände sind bis heute umstritten. Sein Freund Henri Guillaumet ist da bereits vier Jahre lang tot; er stürzte 1940 ebenfalls nach militärischem Beschuss ab und starb dabei.
Bevor Antoine de Saint-Exupéry stirbt, veröffentlicht er jedoch einige preisgekrönte Berichte und Bücher: 1942 wird Flug nach Arras veröffentlicht, in dem er seine Kriegserlebnisse verarbeitet, gesammelt während eines Militärdienstes, für den er eigentlich schon viel zu alt ist. Als Kampfflieger wird er im Zweiten Weltkrieg bald ausgemustert, fliegt anschließend nur noch Aufklärungsflüge – eine Degradierung, die für ihn schwer zu ertragen ist. Doch nach jedem Fall steht er wieder auf. 1943, nur ein Jahr vor seinem Tod, erscheint schließlich Der kleine Prinz; geschrieben im US-Exil, vom Vichy-Regime verboten, bis heute in über 500 Sprachen übersetzt (mehr Übersetzungen gibt es nur von der Bibel) und rund 200 Millionen Mal verkauft (auch hier können fast nur religiöse Texte mithalten). Es ist ein Manifest der Freundschaft, Menschlichkeit und Hoffnung – in seiner Veröffentlichungszeit ebenso wichtig wie heute und in seinen Werten nicht zuletzt von Saint-Exupéry – Die Geschichte vor dem kleinen Prinzen am Leben erhalten.
CW