In dieser Woche wird man viel über Alfred Hitchcock lesen können. Immerhin wäre er am Dienstag 125 Jahre alt geworden – und wir wissen ja alle, wie sehr das Feuilleton, das Internet und – ja, ja – auch wir solche Jubiläen lieben. Man wird wieder einmal lesen, dass er der Meister der Suspense war, dass er uns mit Meisterwerken wie Vertigo, Das Fenster zum Hof, Die Vögel oder Psycho das Fürchten und Rätseln lehrte, und man wird sicher auch irgendwo dieses Zitat lesen: "Lassen Sie das Publikum immer so viel wie möglich leiden." Oder dieses: "Es gibt keinen Schrecken im Knall, nur in der Erwartung dessen." Oder dieses: "Je erfolgreicher der Bösewicht, desto erfolgreicher der Film." Letzt genanntes passt natürlich perfekt zum von Anthony Perkins so brillant gespielten Norman Bates aus Psycho, der allerdings schon in der Romanvorlage von Robert Bloch ein faszinierender Teufel war.
In einigen Texten über Alfred Hitchcock wird man aber hoffentlich auch lesen, dass er selbst Tendenzen zum Bösewicht hatte und manchmal ein, pardon, übergriffiges Arschloch war. Da können wir gleich bei Psycho bleiben: Janet Leigh, die Bates berühmtestes, in der Dusche getötetes Opfer Marion Crane spielte, erzählte noch 1984 – also über 20 Jahre nach dem Dreh – wie traumatisierend die Szene und die Anweisungen von Hitchcock für sie gewesen seien. Sie sagte damals: "Ich versichere mich bis heute, dass die Türen und Fenster im Haus geschlossen sind und ich lasse die Badezimmertür und den Duschvorhang offen. Ich dusche immer in Richtung Tür und habe sie im Blick, egal wo der Duschkopf ist."
Tippi Hedrin, eine weitere – wie meistens bei Hitchcock – blonde Schauspielerin, die mit Die Vögel ihren Durchbruch hatte, schrieb später in ihren Memoiren, dass er sie am Set isoliert hätte, ständig Obszönitäten flüsterte und sich eines Tages gar auf sie geworfen hätte. In ihrer Autobiografie, die sie im Zuge der MeToo-Debatte veröffentlichte, schrieb sie: "Ich habe noch nie Details darüber erzählt und ich werde es auch jetzt nicht. Ich sage nur, dass er mich plötzlich packte und seine Hände auf mich legte. Es war sexuell, es war pervers und es war hässlich."
Wir wollen an dieser Stelle nicht die Jubiläums-Stimmung versauen, aber es ist eben auch an solchen Tagen wichtig, noch einmal daran zu erinnern, dass Alfred Hitchock uns große Kinokunst bescherte, aber einige Frauen, die mit ihm arbeiteten, dafür einen hohen Preis zahlen mussten. Was in der Filmwelt ja leider keine Seltenheit ist …
Wenn Sie die Hitchcock-Feiern mit einem Filmeabend zelebrieren wollen, gibt es bei ARTHAUS+ gerade einen sehr interessanten Spagat seines Schaffens. Da wäre auf der einen Seite der frühe Krimi Mord – Sir John greift ein!, der 1930 in die Kinos kam. Darin wird die junge Schauspielerin Diana Baring eines Morgens neben der Leiche einer Schauspielkollegin gefunden. Ohne Erinnerungen an den Vorfall wird Diana wegen Mordes zum Tode verurteilt. Während des Mordprozesses war nur ein Mitglied der Geschworenen nicht von ihrer Schuld überzeugt: Sir John Fenier. Er ist selbst ein berühmter Theaterautor und Schauspieler und beugt sich schließlich dem Druck, Diana für schuldig zu erklären. Von seinen Zweifeln geplagt, macht sich Fenier dann jedoch auf eigene Faust auf die Suche nach dem wahren Täter – und auch die widerwillige Diana kann ihm wichtige Hinweise geben. Als sein Verdacht auf den Schauspieler Handel Fane fällt muss er sich etwas einfallen lassen, um den Täter zu überlisten…
Herbert Marshall und Norah Baring spielen die beiden in der amerikanischen Version, die es bei ARTHAUS+ zu sehen gibt. Wie damals kurioserweise eine Weile üblich, drehte Hitchcock später nämlich noch mal einen deutsche Version namens Mary mit Alfred Abel und Olga Tschechowa in den Hauptrollen. Mord – Sir John greift ein! ist ein packender Whodunnit, dem man allerdings ansieht, dass Hitchcock noch an seinem Handwerk feilte. Was die Sache hier aber fast aufregender macht, denn Hitchcock probiert fast zu viele Volten, technischen Spielereien und falsche Fährten aus – und verheddert sich dabei auch schon mal.
Das im direkten Vergleich ein wenig leichtere, und handwerklich wahrlich meisterhaft ausgeführte Gegenstück im Programm von ARTHAUS+ ist Über den Dächern von Nizza. Darin wird der ehemalige Juwelendieb John Robie verdächtigt, nach seiner Rehabilitation als Mitglied der Résistance und dem Rückzug in sein luxuriöses Anwesen an der Küste wieder Diebstähle zu begehen. Der von Cary Grant gespielte Robie schlägt der gebeutelten Versicherung einen Deal vor: Man händige ihm die Liste von möglichen Opfern der neuen "Katze" aus, die seine einstige Handschrift als Dieb perfekt imitiert, und er wolle versuchen, dieser Copy Cat ein Schnippchen zu schlagen, um seinen Ruf wiederherzustellen. Dabei trifft er auf Grace Kelly als Tochter einer mit Diamanten behangenen Upper Class Lady.
Hitchcock verknüpft in diesem Film vor der Kulisse der französischen Riviera nicht nur gekonnt die Romantik mit dem Kriminalfall – er offenbart auch eine atemberaubende filmische Eleganz, wenn er etwa tief im Hintergrund des Bildes ein spektakuläres Feuerwerk inszeniert. Außerdem gibt es haufenweise erotische Anspielungen, die man als gediegene Frivolität bezeichnen könnte und die damit Ihren schwarz-weiß gestarteten Hitchcock-Filmeabend mit einer anderen Note ausklingen lassen.
Diese und viele weitere Filme finden Sie auf ARTHAUS+ – alle Infos dazu gibt’s hier.
DK