"Du willst mich nicht ficken, und ich muss immer fahren." Ach ja, die Liebe in Zeiten der Drogensucht kann bisweilen eine recht triste Angelegenheit sein. Diese Wort sagt Dianne (Kelly Lynch) zu ihrem Lover und Ehemann Bob (Matt Dillon), der Kopf einer kleinen Junkie-Crew ist, die sich ihren Stoff stets da besorgt, wo er auch offiziell an Nicht-Junkies verkauft wird: im amerikanischen Drugstore, der Anfang der 70er oft eine Mischung aus Kiosk und Apotheke war. An der Seite des verdrogt-charismatischen Paares sind Bobs Jugendfreund Rick (James LeGros) und dessen Teenager-Freundin Nadine (Heather Graham).
Drugstore Cowboy war Gus Van Sants zweiter Kinofilm und nicht weniger als sein Durchbruch. Die Geschichte basiert auf dem gleichnamigen autobiografischen Roman von James Fogle. Zur Veröffentlichung des Films 1989 war Fogle noch inhaftiert und der Roman noch nicht erschienen. Erst 1990 kam Fogle frei – und veröffentlichte das Buch in Freiheit. Gus Van Sants Film ist einer der wenigen, der bis heute eine Kritiker*innen-Wertung von 100% auf der Filmseite von Rotten Tomatoes vorweisen kann – durchaus zu Recht, wie man sagen muss.
Denn Van Sants Drugstore Cowboy ist nicht nur verdammt gut gealtert, er schafft es auch, das Thema Drogensucht gleichzeitig unterhaltsam, grimmig, lustig, verständnisvoll, sarkastisch, politisch, schillernd, abgefuckt und auf krude Weise pädagogisch anzugehen. Eine Mischung, die sonst vielleicht nur Danny Boyles Trainspotting ähnlich überzeugend hinbekommen hat.
Gus Van Sant zeigt die kurze Lebenszeit der kleinen Gang anekdotenhaft und grob chronologisch, mit Bobs Abtransport in einem Krankenwagen als erzählerische Klammer. Romantisiert wird hier nichts. Kaum schwärmt Bobs Stimme über die Wirkung der Drogen, nachdem er sich direkt im Auto nach einem Raub einen Schuss gesetzt hat, sieht man, wie er benebelt versucht, den nervigen, dealenden Nachbarn loszuwerden. Auch die Touren der Vier sind ein gewagter Spagat: Man will beim Zuschauen irgendwie Teil dieser charismatischen Gang sein, ist aber zugleich angewidert, wie immer wieder Grenzen überschritten werden, um an neuen Stoff zu kommen.
Meet the gang: Dianne (Kelly Lynch), Rick (James LeGros), Nadine (Heather Graham) und Bob (Matt Dillon © Studiocanal
Aber Van Sant war noch nie plumpe Erklärbär. Er filmt pointiert die hellen und dunklen Momente einer klassischen Drogensucht – und sorgt mehr als einmal für lakonisch-aufklärerische Momente: Zum Beispiel, in dem er zeigt, dass eine Junkie-Existenz eben nicht die Flucht aus der Langeweile in den Exzess ist, sondern diese , wenn auch auf gnadenlose Weise, dem Leben Halt und Struktur gibt. Bob sagt einmal aus dem Off: "Die meisten Leute haben keine Ahnung, wie sie sich in der nächsten Minute fühlen werden. Ein Junkie wiederum hat eine sehr genaue Vorstellung davon: Er muss nur die Packungsbeilage lesen." Auch der Fakt, dass Ben, Dianne, Rick und Nadine ihre harten Drogen dort klauen, wo sie offiziell verkauft oder verabreicht werden – nämlich im Krankenhaus und eben im Drugstore – ist eine sehr hintersinnige Pointe. Der Film spielt im Jahr 1971, erschien 1989 – nur knapp sieben Jahre bevor die Firma Purdue Pharma 1996 das später als "Oxy" bekannt gewordene Schmerzmittel patentierte, das Mitte der Nullerjahre einen großen Teil der amerikanischen Mittelschicht Opium-abhängig machen sollte. Gus Van Sant schien damit schon damals den Spießbürgern des Landes zuzurufen: "Was erhebt ihr euch moralisch über einen Junkie? Ihr seid doch selbst druff – nur eben auf dem legalen Zeug, das übrigens alle Zutaten für einen guten Schuss enthält."
Durch eine Überdosis innerhalb der Gang und einer Pechsträhne für Bob, die natürlich durch einen auf dem Bett liegenden Hut ausgelöst wurde, wendet er sich schließlich von diesem Leben ab, wählt das Methadon-Programm, den Selbsthilfe-Stuhlkreis, die abgeranzte Wohnung und den Fabrikjob. Das Gespräch mit der Drogenberaterin ist eine der stärksten Szenen des Filmes. Bob sagt am Ende zu ihr: "Ich bin ein Junkie. Ich mag Drogen. Aber dieser ganze Lifestyle rechnet sich einfach nicht. Er macht dich fertig."
Gus Van Sant setzt kurz danach noch einen drauf und führt im letzten Viertel des Films eine weitere Rolle für die Kino- und Literaturgeschichte ein: Kein Geringerer als William S. Burroughs betritt die Bühne als Altersweiser Ex-Junkie-Priester, der seinen Konsum zwar nicht eingestellt, aber in – sagen wir – kontrollierte Gourmet-Bahnen gelenkt hat. Burrouhgs war bekannterweise Vollprofi, wenn es um Drogen ging und hat mit seinen verstörenden Meisterwerken "Naked Lunch" und "Junkie" diese Exzesse und paranoiden Phasen in eine literarische Form gebracht. Hier spielt er die graue Eminenz Tom The Priest. Der Name ist eine Referenz an Burroughs kurzes Stück "The Priest They Called Him", das zuerst 1973 in der Short Story-Sammlung "Exterminator!" veröffentlicht wurde. Noch bekannter wurde es, als Kurt Cobain und Burroughs das Stück 1993 gemeinsam aufnahmen. Burrouhgs liest lakonisch-trocken wie immer, während Cobain dazu verzerrte Akkorde auf der Gitarre spielt, die "Stille Nacht" und "To Anacreon in Heaven" anklingen lassen.
Auch Burroughs Part macht noch einmal deutlich, dass Gus Van Sant einen sehr präzisen Blick auf die Drogenproblematik hatte. Im Juni 1971, also in dem Jahr, in dem der Film spielt, rief Präsident Nixon den noch heute vorherrschenden "War on Drugs" aus. Burroughs kleiner Vortrag in Bobs Wohnung klingt da durchaus prophetisch: "Drogen und Betäubungsmittel wurden jahrelang systematisch verteufelt. Der Gedanke, jemand könnte sie nehmen, um einem schrecklichen Schicksal zu entfliehen, ist diesen Idioten ein Dorn im Auge. Die Rechten werden diese Drogenhysterie zu nutzen wissen, um darauf einen internationalen Polizeiapparat aufzubauen. Ich bin ein alter Mann und werde wohl das Ende des Drogenproblems nicht mehr erleben …" Tja, das werden wir wohl alle nicht.