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Die Nacht der lebenden Toten: Ohne Puls am Puls der Zeit

George A. Romeros Horrorklassiker aus dem Jahr 1968 kann sich weiter sehen lassen. 4K-restauriert und am 31.10. zurück auf der großen Leinwand. Hier der neue Trailer und ein Ausschnitt aus dem Booklet zur neuen Edition mit vielen Extras.

17. Oktober 2022

Man darf Die Nacht der lebenden Toten als politisches Popcorn-Kino bezeichnen oder als subversive Kunst, die mit einfachen Mitteln komplexe Zusammenhänge erfasst. Es stimmt beides. Der Film hat mit kleinem Geld große Wirkung erzielt, seit dem Erscheinungsjahr 1968 selbst die Kritik um den Schlaf gebracht. Wir leben längst in der Ära der seriellen Weiterentwicklung, kritischen Vertiefung, ästhetischen Ausdifferenzierung und ironischen Zuspitzung des Zombie-Motivs. The Walking Dead, The Girl With All The Gifts, Shaun Of The Dead, Jim Jarmuschs The Dead Don’t Die – um nur ein paar Beispiele aus der cineastischen Postmortemmoderne zu nennen. Aber dieser Klassiker erlaubt bis heute eine spezielle Sicht auf die Welt, von der er handelt. Die Nacht der lebenden Toten beschwört eine historische Epoche herauf, als die Untoten den Mainstream schockten und niemand ahnen konnte, dass Jahrzehnte später der Reiz von Horrorfilmen für eine Weile darin bestehen würde, ihre Stereotypen und erzählerischen Muster im Lauf des Geschehens andauernd zu reflektieren, wie es die Scream-Reihe durchexerzierte, anstatt das alles ins Verhältnis zum wahren Leben zu setzen. 1968 hat die Gegenwart des 21. Jahrhunderts ihre Schatten schon vorausgeworfen. Gerade deshalb sind George A. Romeros Zombies weiterhin unheimlich nah – und relevant. Als ästhetische Vorbilder für das untote Genre, bleiben ihre politischen Szenarios wie Nachbilder haften und schleichen sich in unsere Alpträume von der Zukunft.

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George A. Romero begann 1967 mit den Dreharbeiten zu Die Nacht der lebenden Toten. Das Budget war überschaubar, viele Mitwirkende rekrutierte er aus dem Bekanntenkreis. In jeder Szene scheint Romeros inszenatorische Raffinesse auf, die noch aus der Not geboren sein mag, doch die Treue zur Geschichte kann man nur mit seiner Haltung erklären. Das ist kein Zufall. Romero wusste, was er tat. Er wollte mehr als eine mitreißende Story erzählen, er wollte Position beziehen. Mit dem 114.000-Dollar-Low-Budget-Debüt im DIY-Modus stellte er sich zudem als innovativer Autorenfilmer vor.

Diese Krise bringt einen neuen Helden hervor © Studiocanal

Diese Krise bringt einen neuen Helden hervor © Studiocanal

So wirkt der Zombie, der sich in der ersten Verfolgungsszene des Films an Barbras Fersen heftet, nachdem er deren Bruder gemeuchelt hatte, nicht ferngesteuert. Er schweift auch mal ab, seine Aufmerksamkeit fällt auf Dinge, die ihm den Weg versperren. Das Opfer auf der Flucht wird zur neuartigen Figur, da Barbra eher vor sich selbst und ihrer Herkunft wegläuft. Sie sucht Schutz in einem Farmhaus, wo sich die dramatischen Ereignisse bald wie in einem Kammerspiel konzentrieren. An den Wänden hängen Tierfelle und -köpfe, Jagdtrophäen als Insignien des Todes. Doch erst der Anblick einer menschlichen Leiche sorgt bei Barbra für den Schreckmoment der Erkenntnis, dass dieser Ort keine Sicherheit vor der Bedrohung von außen verspricht. Schlimmer noch: Menschen jagen Menschen – Sozialdarwinismus pur. Allerdings hat sich in ihr schon eine melancholische Leere ausgebreitet, die sie allmählich zum Zombie macht. Das alte Leben, aus dem sie gerissen wurde, frisst sie längst von innen auf.
Da betritt der mögliche Retter die Bildfläche, und Romero überrascht das Publikum mit noch einer außergewöhnlichen Idee. Sie ließe sich rückblickend als künstlerisches Statement der Solidarität mit den realen Kämpfen der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung lesen, zumindest stellte sie damals ein Stück Normalität dar, von der man in Wirklichkeit weit entfernt war. Ein kleiner Schritt für George A. Romero, ein großer für die US-amerikanische Gesellschaft.

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Die Besetzung des Protagonisten brachte auch die Ordnung der Metaphern in den Köpfen des Publikums durcheinander. Der schwarze Held rettet die blonde Frau vor den weißen Ungeheuern? 1968 ist das Jahr, in dem Martin Luther King ermordet wurde – und schlussendlich wird jener Held namens Ben von der Bürgerwehr zur Strecke gebracht, obwohl er kein Zombie ist, was in der gewählten Darstellung mit hintereinander gereihten Stills in der Schwarzweiß-Optik des gesamten Films an einen Lynchmord durch den weißen Mob aus dem Geschichtsbuch erinnert – inklusive Scheiterhaufen. Das ist die andere Seite der Medaille. Der Realitätsbezug machte den Horror, den Romero kunstvoll inszenierte, besonders furchteinflößend.

WF

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