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Bild zu Infam: Nennen wir es doch einfach Liebe

Infam: Nennen wir es doch einfach Liebe

Das ergreifende Drama aus dem Jahr 1961 mit Audrey Hepburn und Shirley MacLaine erzählt die Geschichte zweier Frauen, die mehr sein könnten als Freundinnen. Ein eher unfreiwilliger Klassiker des queeren Kinos mit spannender Vorgeschichte.

Filmgeschichten 18. Februar 2020

Der leider 1990 verstorbene Autor, Filmhistoriker und LGBT-Aktivist Vito Russo konnte sich noch Jahre später an jenen Moment erinnern, als er den Film Infam zum ersten Mal sah. Da war er noch ein Kind, aber er sah das, was nur eine der beiden weiblichen Hauptcharaktere offen gestehen wollte: Dass es Liebe war zwischen Karen (Audrey Hepburn) und Martha (Shirley MacLaine), jenen zwei Freundinnen seit College-Tagen, die Seite an Seite in Neuengland eine Privatschule für Mädchen aufgebaut hatten. Russo inspirierte unter anderem dieser Film zu seinem Buch "The Celluloid Closet", das 1981 erschien und sich der Darstellung von Homosexualität im Hollywood-Kino widmete. Denn natürlich erkannte Russo Infam als Film über Homosexualität – und er war hin und hergerissen zwischen der Tatsache, dass sich die zwei weiblichen Hauptrollen augenscheinlich liebten (und ein traumhaftes Paar gewesen wären), Homosexualität im ganzen Film aber nie offen benannt, sondern permanent mit dramatischen Adjektiven wie "unnatürlich" und "schändlich" beworfen wird.

Martha (Shirley MacLaine), Karen (Audrey Hepburn) und Schülerin Mary (Karen Balkin)

Martha (Shirley MacLaine), Karen (Audrey Hepburn) und Schülerin Mary (Karen Balkin)

Der lange Anlauf zu Infam

Doch zunächst zur Vorgeschichte des Stoffes von Infam, über den man schon Bücher füllen könnte. Er basiert auf dem Theaterstück "The Children's Hour" von Lillian Hellman, das 1934 am Broadway Premiere feierte. Das Stück wiederum dramatisiert eine wahre Begebenheit aus dem Jahr 1809. Damals beschuldigte ein Mädchen an einer Privatschule in Schottland zwei junge Lehrerinnen einer lesbischen Beziehung, was erst zur gesellschaftlichen Ächtung der beiden führte und dann eine der beiden in den Suizid trieb, während die andere sich von ihrem Verlobten trennte. Während das Theaterstück noch in Schottland spielte, wurde die Handlung für die Verfilmung später in eine Mädchenschule in Neuengland verlegt. Das Stück wurde ein Publikumserfolg, die Andeutung einer lesbischen Liebe zwar als solche erkannt, aber nie wirklich auserzählt, weil der Fokus auf das junge, diabolische Mädchen Mary Tilford gelegt wurde, deren Aussagen die Handlung eskalieren lassen. William Wyler, der Jahrzehnte später bei Infam Regie führen würde (der im englischen Original übrigens wie das Theaterstück heißt), sicherte sich den Stoff schon damals und machte mit Hellman als Drehbuch-Autorin 1936 den Film These Three daraus. Auch wenn die Untertöne der gleichgeschlechtlichen Liebe im Theaterstück zumindest in New York nicht für Schnappatmung sorgten, gab es 1936 einen Prozess in Boston um "The Children's Hour", der Schlagzeilen im ganzen Land machte und an dessen Ende ein Verbot der Aufführung in Boston wegen des "lesbischen Inhalts" des Stückes stand. Vor diesem Hintergrund entschieden sich Wyler und Hellman die Storyline umzuschreiben. Auch der damals noch rigoros vom Dachverband der US-amerikanischen Filmproduktionsfirmen, MPPDA, eingeforderte sogenannte "Hays Code" (nach dessen Urheber Will H. Hays benannt) spielte eine Rolle bei der Entscheidung, regelte er doch die "moralisch akzeptablen" Darstellungen von Kriminalität, Politik und eben Sexualität. Wyler änderte die Story so, dass die Schülerin nicht mehr Karen und Martha eine Beziehung unterstellte, sondern Martha und Karens Verlobtem Joe – dem für die Schule zuständigen Arzt.

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Ein Cast, der alle Kontroversen überstrahlt

Es dauerte fast drei Jahrzehnte, bis sich Wyler des Themas noch einmal annehmen sollte. Infam war seine erste Regie nach dem monumentalen Meisterwerk Ben Hur (1959) und obwohl in den Staaten der "Hays Code" noch nicht offiziell eingemottet war, so gab es doch erste Entscheidungen großer Studios, die zeigten, dass man so langsam auf den moralisch anscheinend offeneren Markt reagieren musste und sogar in Erwägung zog, ähnliche Stoffe anzugehen. Das Drehbuch schrieb diesmal John Michael Hayes (den ironischerweise im Familiename nur ein Buchstabe vom Verfasser des Hays Code trennt) – der sich jedoch eng an Hellmans Vorlage hielt. Tatsächlich stammen einige der später als besonders fortschrittlich gelobten Zeilen aus dem Originalstück.

Dass Infam aber auch heute noch ein fantastisches Drama ist, liegt vor allem an dem durchweg überzeugenden Cast, der die etwas überakzentuierte Dramatik des Drehbuchs schlichtweg überstrahlt: Audrey Hepburn als Karen, der smarte James Garner als ihr loyaler aber meist mies gelaunter Verlobter Dr. Joe, Shirley MacLaine als leidende und still liebende Martha, die junge Karen Balkin als diabolisches Lügenmädchen Mary, die ehrwürdige Fay Bainter als deren Oma Mrs. Tilford und Miriam Hopkins als Marthas Tante Lily (die übrigens in These Three damals selbst die Rolle der Martha spielte).

Die Szenen zwischen Hepburn und MacLaine sind natürlich die stärksten im ganzen Film – allen voran die geradezu historische "Coming out"-Szene, in der MacLaines Martha ihrer Schulfreundin und Weggefährtin Karen gesteht, dass die Lüge der Schülerin eben doch einen "Funken Wahrheit" in sich trägt. "Weil ich dich liebe!", ruft Martha ihr entgegen und windet sich vor Empfindungen, die sie immer wieder "schmutzig" und "sündhaft" nennen muss – obwohl alle im Film ausgetauschten Blicke der beiden durchaus die Interpretation erlauben, dass die Grenzen zwischen inniger Freundschaft und Liebe manchmal eben fließend sind, und unabhängig vom Geschlecht. Auch die Tatsache, dass die lügende Schülerin Mary sich diese konkrete Unterstellung überhaupt ausdenken kann, legt nahe, dass die beiden eine Vertrautheit zeigen, die man sonst nur bei Liebenden sieht. Und nach Marthas Suizid kehrt Karen eben nicht in die Arme ihres Verlobten Joe zurück, sondern verlässt die Beerdigung traurig lächelnd und mit erhobenem Haupt, ohne all die Figuren, die das Drama verschuldet haben, eines Blickes zu würdigen.

Rechts im Bild: James Garner als Karens Verlobter Dr. Joe. Tja, wer ist hier das dritte Rad am Wagen?

Rechts im Bild: James Garner als Karens Verlobter Dr. Joe. Tja, wer ist hier das dritte Rad am Wagen?

"Wir haben damals nicht verstanden, was wir da tun."

Trotzdem macht es der Film auch der queeren Community nicht leicht – obwohl er immer wieder gerne auf diversen Filmfestivals gezeigt wird und im universitären Rahmen eindeutig als queerer Film diskutiert und analysiert wird. Infam war und ist wichtig, weil er einer der ersten Coming-outs der Filmgeschichte innerhalb einer großen Hollywood-Produktion zeigt, aber es stimmt natürlich auch, dass er sich nicht traut, dieses Thema als Herz des Films zu erkennen, sondern es lediglich als Einflussfaktor für den Plot benutzt. Außerdem ist Infam im damals sehr konservativen Zeitgeist verbissen und spricht bei Homosexualität ständig von einer "schmutzigen", "widernatürlichen" Empfindung, die durch und durch als Leidfaktor inszeniert wird und wie so oft in frühen Filmen zu diesem Thema gar zum Tode führt. Aber gerade, wenn man sich darüber echauffieren will, blitzt wieder eine Utopie auf, zum Beispiel als Martha zu Karen sagt: "Es muss einen Ort geben, an den wir gehen können. Ich weiß nicht, wo der ist. Sie werden überall über uns Bescheid wissen, wir sind jetzt leider berühmt. Aber es ist keine neue Sünde, die man uns vorwirft. Es gibt andere, die es erlebt haben und nicht dadurch zerstört wurden."

Aber wie sah denn Shirley MacLaine selbst nun ihre Rolle? Sie sagte später in der Dokumentation zu Russos Buch "The Celluloid Closet", die postum 1995 von Rob Epstein und Jeffrey Friedman produziert wurde: "Wir hätten Vorreiterinnen sein können, aber wir waren es nicht wirklich, weil wir den Film nicht richtig angegangen sind. Wir haben damals nicht verstanden, was wir da eigentlich tun." Das Thema der lesbischen Beziehung sei laut MacLaine nicht einmal während der Proben diskutiert oder gar benannt worden. "Ich habe Martha in dieser Szene gespielt und niemand hat das, was wir da sagen in Frage gestellt, niemand hat gefragt, was es bedeuten kann, niemand hat die kurz aufblitzenden Alternativen, die in diesem Dialog verwoben sind oder die Tiefe des Themas offen zur Sprache gebracht. Audrey und ich haben auch nie darüber gesprochen. Ist das nicht verrückt?"

Tja, das ist es wohl wirklich – oder aber, man greift zu der versöhnlichen Interpretation, dass die beiden intuitiv gemerkt haben, was das schüchtern schlagende Herz dieses Films ist – nämlich eine Freundschaft, die in anderen Zeiten unter anderen Vorzeichen, zu einer tiefen Liebe hätte werden können.

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