Detailsuche

Bild zu Kennen Sie den schon? Inside Llewyn Davis

Kennen Sie den schon? Inside Llewyn Davis

Einer der schönsten Musikfilme und die perfekte Unterhaltung für melancholisch-graue Tage: die Gebrüder Coen führen uns mit Inside Llewyn Davis in die Folkszene New Yorks Anfang der 60er-Jahre. Den Film gibt es im Sortiment unserer ARTHAUS+ Channels bei Amazon und bei Apple TV.

Filmgeschichten/Kennen Sie den schon …?

Eine der schönsten, mitreißendsten, aber traurigsten Playlisten in meiner Musikbibliothek trägt den Namen "The No-Hit-Wonders". Mittlerweile gut 50 Songs – allesamt kleine Meisterwerke mit Suchtpotential. Von Künstlerinnen und Künstlern, bei denen ich mit Ganzkörpergänsehaut, bis in die Zehenspitzen euphorisiert vor der Bühne stand und dachte: "Mit DIESEM Song werden die ganz groß rauskommen!" Es sollte natürlich nicht so kommen. All diese dort versammelten Menschen, die mich mit ihrer Musik beglückt haben, durchlebten übersichtliche, aus kommerzieller Sicht eher nicht so gelungene Karrieren. Manche von ihnen sah ich in Gesellschaft von rund einem Dutzend anderen Fans in schlecht beleuchteten Bars, die schon wenige Jahre später von Adidas-Stores und Eigentumswohnungen verjagt wurden. Aber machte das die Musik schlechter? Weniger wichtig für mich? Eher nicht. Ich würde sogar sagen: Genau diese Musikerinnen und Musiker sind die Seele einer jeden Musikszene – und meiner Plattensammlung. Warum dieser Exkurs? Weil Inside Llewyn Davis von den Coen-Brüdern für mich die perfekte Ballade für all diese "No-Hit-Wonders" ist.

Video kann aufgrund der gewählten Cookie-Einstellungen nicht gezeigt werden.

"You can't be afraid of failure and you can't be afraid of success, because either one gets in the way of your work." Dieses hier sehr gut passende Zitat stammt von Dave Van Ronk, dessen Autobiografie Pate stand für den fiktiven Folksänger Llewyn Davis. Ein cleverer Kniff der Regie führenden Coen-Brüder Joel und Ethan, die auch das Drehbuch schrieben. Damit befreien sie sich aus dem System oder Korsett Biopic, das ja leider nur in den seltensten Fällen zu überraschenden, geschweige denn guten Filmen führt. Die Coens modellieren ihr 60er-New-York nach Van Ronks Erinnerungen und sie teilen seinen wissenden, trockenen, selbstironischen Humor. Ihre Geschichten aus der Greenwich Village-Szene – die bekanntlich Joni Mitchel, Bob Dylan, Joan Baez und Phil Ochs hervorbrachte - sind keine verklärten Hymnen, bei denen Rolling-Stone-Abonnenten der ersten Stunde feuchte Augen kriegen. Die Coens zeigen eher die Alltäglichkeiten und Absurditäten, den Struggle mit Karrieren, die noch keine sind und manchmal auch keine werden. Aber sie zeigen eben auch – und dafür liebe ich diesen Film - die magischen Momente. Und die passieren meistes, wenn die Musik spielt.

Video kann aufgrund der gewählten Cookie-Einstellungen nicht gezeigt werden.

Schon der Beginn des Films ist so ein Moment: Wir hören eine Akustikgitarre. Stimmengewirr. Es ist 1961, wir sind im heute legendären Gaslight Cafe. Schwarz erfüllt das Bild, das Schimmern eines Scheinwerfers im Hintergrund. Ein Mikrofon in Nahaufnahme. Oscar Isaacs bärtiges Gesicht nähert sich. Und dann singt er, mit einer mehr als passablen Stimme, das Lied "Hang me, oh hang me". Ein traditioneller Folksong, der seit Jahrzehnten in vielen Versionen und mit vielen Titeln existiert. Dave Van Ronk spielte ihn gerne – und seine Version ist bis heute wohl die bekannteste. Die Coen-Brüder spielen den Song komplett aus – kaum Schnitte, kein Heckmeck. Bis der letzte Akkord verklingt, die Leute kurz johlen und klatschen. Und der Manager des Cafés nur wenige Sekunden später zu Llewyn Davis sagt: "I don’t give a shit. It’s just music." Eine Gleichgültigkeit, eine Routine – die in dieser ach so tollen Musikwelt eben auch existieren. Und sie ironischerweise am Leben und am Laufen halten.

Video kann aufgrund der gewählten Cookie-Einstellungen nicht gezeigt werden.

Inside Llewyn Davis zeigt die Härten dieser Welt immer wieder – und zeigt, dass sie trotzdem oder gerade deshalb großartige Musik hervorbringen. Llewyn Davis ist chronisch pleite, kriegt von seinem Labelboss keine ordentliche Bezahlung – aber immerhin einen Wintermantel. Und reden wir nicht über die Wirrungen seines Privatlebens. Bei all dem spielen immer wieder wundervolle Lieder, mal aus dem Hintergrund, mal sieht man, wie sie im Film entstehen. Dass all diese Nummern so überzeugend und authentisch wirken, ist dem Produzenten, Sänger und Songwriter T Bone Burnett zu verdanken, seit jeher ein Garant für einen simplen, schönen, erdigen Folk- und Blues-Sound. Schon bei The Big Lebowski und O Brother, Where Art Thou? war Burnett bei den Coens an Bord – und schaffte schon damals hin und wieder das Kunststück, dass die Musik in manchen Szenen der Performance und der Regie die Show stiehlt. Burnett nahm für Inside Llewyn Davis die Musik Van Ronks als Ausgangspunkt, einige neue Songs entstanden gemeinsam mit Marcus Mumford von der Band Mumford & Sons, der auch an der Produktion beteiligt war. Ein schrägschönes Highlight des Films und des Soundtracks ist das Königstreffen von Oscar Isaac, Justin Timberlake (als Jim Berkey) und Adam Driver (als Al Cody).

Video kann aufgrund der gewählten Cookie-Einstellungen nicht gezeigt werden.

Das New York, das uns die Coen-Brüder dabei zeigen ist auch eher grau und dunkel, die Wohnungen kleine Bruchbuden, die deutlich machen, dass man damals als Musikerin oder Musiker nicht reich wurde. Die Wärme holt man sich bei Inside Llewyn Davis dann eben auf der Bühne oder im Studio.

Inside Llewyn Davis ist deshalb der perfekte Film für diese spezielle Jahreszeit. Man kann sich am Klang, an den matten Farben, dem bösen Humor, den wie immer faszinierend geschriebenen und gespielten Charakteren und dem heimlichen Star (eine Katze) wärmen und den Pandemie-Scheiß da draußen für eine Weile vergessen. Und dieser Film sollte einem in diesen Zeiten noch etwas anderes in Erinnerung rufen: Selbst, wenn er in den frühen 60er-Jahren spielt und eine Musik-Szene zeigt, die längst vergangen ist, haben sich in der Struktur der Konzertwelt einige Dinge bis heute nicht geändert – und diese Welt kämpft gerade ums Überleben. Kleine Clubs, die strauchelnde aber beseelte Songwriterinnen und Songwriter auf die Bühne lassen, bangen durch die Pandemie-Zeit um ihren Fortbestand oder haben schon die Segel gestrichen. Kreative Menschen, die von kleinen Konzerten halbwegs leben können, wurden in den letzten anderthalb Jahren in Hartz-IV-Existenzen gezwungen. All die Helping Hands, die das Konzertleben am Laufen halten, mussten sich andere Arbeitsmöglichkeiten suchen - und kommen vielleicht nicht zurück. Deshalb: Sollten Sie den magischen Momenten von Inside Llewyn Davis erliegen und wie ich danach den dringlichen Wunsch spüren, in einem schlecht ausgeleuchtetem Klub einem Mann oder einer Frau mit Gitarre zu lauschen – dann schauen sie doch mal, ob der Club ihres Vertrauens einen Spendenfond hat, oder ob diese Songwriterin, die vor zwei Jahren mal in einer schummerigen Bar Ihr Herz gewonnen hat, auf ihrer Website Vinyl-Alben oder schöne T-Shirts anbietet, die man kaufen könnte – um ihrer Kunst und ihrem Durchhalten Respekt zu zollen.

Hier gibt es alle Informationen zu ARTHAUS+ auf Apple TV und hier geht’s zum Channel bei Amazon.

Daniel Koch

Dazu in unserem Magazin

Arthaus Stores

Social Media