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Kennen sie den schon?: John Schlesingers Darling

1965 inszeniert John Schlesinger die Geschichte einer unkonventionellen jungen Frau – und Julie Christie erhält für ihre Darstellung einen Oscar. Jetzt 4K-restauriert … den muss man gesehen haben!

18. Juni 2025

John Schlesinger zählte Anfang der 1960er Jahre zu den Vertretern der British New Wave. Bereits früh galt er als einer der vielversprechendsten Regisseure des neuen experimentierfreudigen und sozialrelevanten Kinos über das Leben der nordenglischen Arbeiterklasse. Dabei reüssierte Schlesinger mit Liebesfilmen. Ob das Debüt Nur ein Hauch Glückseligkeit oder der Nachfolger Geliebter Spinner – in Zentrum stehen Herzensangelegenheiten.

© Studiocanal

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So erscheint Darling als nächster Film Schlesingers nur konsequent. Man könnte die Geschichte um den Aufstieg einer jungen Frau im Milieu des Kulturbetriebs beinahe für eine Fortsetzung von Geliebter Spinner halten, worin ein Working Class Girl schlussendlich die Kleinstadt verlässt, um irgendwo ein aufregenderes Leben zu finden. Die Handlung fügt sich inhaltlich nahtlos an diesen Cliffhanger an – und wieder geht es um die Liebe, wobei sie untrennbar mit dem aufregenden Leben der Protagonistin verknüpft ist:

Die von Julie Christie gespielte Hauptfigur Diana Scott jobbt als Model und verliebt sich im Rahmen einer Fernsehproduktion in den von Dirk Bogarde verkörperten Journalisten Robert Gold. Anhand der modernen Beziehungskiste, die aus der Begegnung folgt, inklusive Seitensprüngen und weiteren libidonösen Abzweigungen, stellt Regisseur Schlesinger politische und moralische Fragen an die bürgerliche Welt der damaligen Zeit. Außerdem gelingt es ihm hervorragend, den Vibe der künstlerischen Avantgarde des Swinging London filmisch aufzugreifen – und die Hybris der schnöseligen Upper Class herauszustellen, wenn etwa ein adeliger Snob schwer darunter leidet, dass er aus moralischen Gründen nicht einfach den minderjährigen schwarzen Bediensteten zu privaten Überstunden verpflichten kann. Solch pointierter Sarkasmus ist eine Qualität, wenn man darüber nicht das Geschichtenerzählen vergisst. Und Schlesinger ist ein verdammt guter Geschichtenerzähler.

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Neben dem Golden Globe für den besten englischsprachigen ausländischen Film gab es drei Oscars für Darling: Julie Christie als Hauptdarstellerin, die Kostüme und Drehbuch erschienen der Academy preiswürdig.

Auch analytisch hat der Regisseur einiges zu bieten: Schon in der Anfangssequenz überblendet Schlesinger mit einem raffinierten Kunstgriff die bürgerliche Doppelmoral mit der aufkommenden Popkultur, ohne dafür nachträglich den Schnitt bemühen zu müssen. Alles beginnt damit, dass hungernde afrikanische Kinder, typisch für die lange übliche eurozentristische Perspektive auf die "Dritte Welt", auf einer riesigen Werbetafel mit Reklame für eine Artikelserie zum Leben Diana Scotts überklebt werden. Der Moral geht es in Dianas Lebenserinnerungen, an denen wir nun teilhaben dürfen, in mehrfacher Hinsicht an den Kragen. Dianes und Roberts Romanze ist schon total widersprüchlich – ebenso unbeschwert wie unmöglich. Beide sind fest liiert, Robert ist sogar verheiratet und hat Kinder. Und während Diana anfangs noch mit dem Kollateralschaden einer zerstörten Ehe hadert, weil die Familie nun mal heilig ist, setzt sich nach und nach ein egoistisches Gefühl der Eifersucht auf Roberts Familie durch.

© Studiocanal

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Schlesinger geht bewusst das Risiko ein, seine Heldin nicht sonderlich sympathisch zu zeichnen. Diana ist in vielerlei Hinsicht eine Frau, mit der man sich nur insgeheim identifiziert. Auch in späteren Schlüsselwerken wie Asphalt Cowboy zelebrierte Schlesinger den Typus des Antihelden. Aber das Herausragende an Darling war und ist die Figur der weiblichen Antiheldin. Schlesingers radikales Stück Unterhaltungskino ist dank des Fokus auf Kunstszene, Intelligenzia, Großbürgertum und Aristokratie im tiefsten Inneren wohl eher Nouvelle Vague als British New Wave, wobei Schlesinger zahllose politischen Easter Eggs versteckt hat. Zum Beispiel die Schlagzeilen einer Zeitung über den Arbeitskampf der Bergleute, die einen den fehlenden Dialog zum Thema nicht vermissen lassen. Im Kern aber geht es um eine Frau, die als "verkommen" wahrgenommen wird, weil sie nur sich selbst und ihren Ansprüchen treu bleibt, und für die der Begriff der Lebenskünstlerin sicher nicht falsch wäre.

© Studiocanal

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Schon vor 60 Jahren war es keine Selbstverständlichkeit, eine Geschichte zu erzählen, die sich um die Emanzipation einer unkonventionellen Frau statt um männliche Befindlichkeiten dreht. Es ist immer noch nicht selbstverständlich. Auch darum wirkt Darling so zeitlos gut, dass man sich vorstellen kann, er würde 2025 genauso viele Oscars gewinnen wie damals.

WF

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