Warum ist die Serie Mit Schirm, Charme und Melone immer noch so beliebt, auch wenn sie sich schon auf den ersten Blick als ein Kind ihrer Zeit erweist? Und wie kommt es, dass eine der Hauptdarsteller*innen, die 1965 zur Produktion gestoßene Diana Rigg, 60 Jahre später manchen Teenagern des 21. Jahrhunderts als Ikone weiblichen Empowerments dient – und als feministisches Postergirl deren Zimmerwände ziert?
Ist die wiederkehrende Beschäftigung nachfolgender Generationen mit den 1960er Jahren bloß ein stets vorübergehender Retrotrend? Den Sixties-Kult als rein vom Markt initiiertes Revival und die Liebe zur Serie und ihrer Heldin schlicht als Teil dessen zu bezeichnen, wird der Sache nicht gerecht. Weil die Epoche eigentlich andauernd gegenwärtig ist. Egal, ob Bob Dylan-Biopic oder politische Entwicklungen der Jetztzeit, deren Weichen damals entscheidend gestellt wurden. In jener Ära, als die Welt kurz vor einem Atomkrieg stand und die Jugend rund um den Globus gegen die Werte, Taten und Versäumnisse der Eltern rebellierte, entstand ein Vibe, der uns bis heute keine Ruhe lässt.
Stylish wie eine Band © Studiocanal
Berliner Mauer, Minirock, Vietnam, Mao Tse Tung, Beatles, Nouvelle Vague, Antibabypille, Mondlandung … die Sixties sind in wenigen Schlagwörtern ausgedrückt eine der prägendsten Dekaden der jüngeren Menschheitsgeschichte – in künstlerischer, wissenschaftlicher, politischer Hinsicht. Neben den gesellschaftlichen Veränderungen gilt das Design als zukunftsweisend, so als habe die Form auch die Inhalte des Zusammenlebens bestimmen sollen. Das waren Entwicklungen auf gestalterischer Ebene, die einem unbedingten Glauben an den Fortschritt entsprangen.
Der Umgang mit neuen revolutionären Materialien wie Plastik gehört ebenso dazu wie ein anderes (manchmal auch revolutionäres) Bewusstsein für die Funktionsweise der schönen und nützlichen Dinge, die plötzlich die Warenwelt bevölkerten. Darunter Modestücke wie die Kostüme, die Diana Rigg in ihrer Rolle als Emma Peel trug. Die wahren Veränderungen sollten derweil eher unter die Haut gehen – so wie der Strand ja auch unter dem Pflaster lag.
Die Peel-typischen Outfits wiederum lagen mitunter ziemlich eng am Körper, ohne dass Peel oder Rigg dem männlichen Blick als Sexsymbol unterworfen worden wären, nicht mal im glamanzipierten Sinn der Bondgirls. Schon in der ersten Folge ihres Mitwirkens stellt Emma Peel gegenüber Agent John Steed (und Co-Star Patrick Macnee) klar, dass sie mit allen Wassern gewaschen an die Aufgaben des Geheimdienstalltags und furchtlos an ihren Job als neue Protagonistin einer alten TV-Produktion herangeht – von wegen Hausfrau oder Sidekick. Abgesehen davon, dass sie in jeder Lebenslage nicht nur den in ihrem Namen angedeuteten Man Appeal, sondern auch Pop Appeal im Geist des Youthquake Movement und der damit verbundenen Low-Context-Culture verströmt. Das lässige Herumgepose im Vorspann ist nur ein Vorgeschmack.
Und Karate kann sie auch © Studiocanal
Zumindest gewisse Aspekte ihres für die damaligen Verhältnisse hypermodernen Rollenverständnisses dürften so lange auf Zuspruch in heutigen Zeiten einer wesentlich ausdifferenzierten Idee von Feminismus stoßen, wie auf der anderen Seite bestimmte Handlungen der "Männer" von damals – ob mit Schirm, Charme, Melone oder ohne – längst nicht gänzlich aus der Zeit gefallen wirken, weil sie auch anno 2025 leider immer mal wieder zu beobachten sind.
Die Serie lief schon vier Jahre mit anderem Konzept, als Diana Rigg dazukam. Die Produzenten der Serie entschieden sich bewusst für einen neuen Typus Frau im Figurenensemble und führten Emma Peel mit der Episode "Town of no return" in Staffel 4 ein – die passende modische Verpackung für den zeitgeistigen Storytwist inklusive. Diana Rigg füllte die Rolle dank ihrer Persönlichkeit fortan mit Eigenleben und ganz nebenbei doch mit Kontext, anstatt sich auf eine Abfolge von Posen zu beschränken, als sei die Welt ein Daumenkino.
Der Typ wird sich wundern … © Studiocanal
Rigg verkörperte die selbstbewusste junge Frau, die in keiner Weise von ihrem männlichen Kollegen abhängig sein will, wobei sie Kleidung trägt, die sie zu einer Art Superheldin stilisiert. Überhaupt, was die Inszenierung angeht: Die fürs Fernsehen teils doch sehr gewagten und an französischem Kino geschulten Cuts entsprachen den gewagten Schnitten der getragenen Stoffe – mit Vorliebe Leder. Emma Peel war nicht einfach eine neue Darstellerin für eine Show, die aufgepeppt werden musste. All diese ästhetischen Entscheidungen drehten sich um sie. Rigg interagierte in einem hochartifiziellen Umfeld so glaubwürdig wie nur möglich als fiktive Person mit den realen Verhältnissen. Auch darum hat ihre Emma Peel vermutlich das Zeug zum zeitlosen Role Model.
Heute identifiziert man Diana Rigg mit Emma Peel und Emma Peel mit The Avengers, so der Originaltitel der Reihe. Mehr noch als ihren Kollegen Patrick Macnee, obwohl der in sämtlichen Staffeln mitwirkte, allerdings nicht in den später gedrehten The New Avengers. Die Entstehung von Mit Schirm, Charme und Melone erstreckte sich abgesehen von diesem 1970er-Jahre-Reboot (demnächst bei ARTHAUS) über die kompletten 1960er-Jahre. Nicht von ungefähr also versinnbildlicht die Serie den Vibe des ganzen Jahrzehnts, wurde regelrecht zum Synonym für die Stimmung der Sixties (man schaue sich auch die Fotosession von Patrick Macnee mit Twiggy statt Diana Rigg an seiner Seite an).
Auch das macht die anhaltende popkulturelle Relevanz von Mit Schirm, Charme und Melone aus, die sich 1998 in einer Kinoversion zeigte, für die Uma Thurman in die Rolle der Emma Peel schlüpfte. Das Erfolgsgeheimnis der Serie, insbesondere der Reiz der herausragenden vierten (noch in Schwarzweiß gedrehten) und fünften Staffel mit Diana Rigg, besteht aber auch in den ganz gewöhnlichen Elementen guter Unterhaltung. Mit Science-Fiction-Verweisen gespicktes Set Design, futuristische Requisiten und Accessoires, phantastische Wendungen mysteriöser Kriminalfälle, weitgehender Verzicht auf Action zugunsten von Witz und Raffinesse. Die Zukunft des Serienfernsehens hat 1961 begonnen.
WF