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Im Kino: Die "charismanische" Camille und das Warten auf Bojangles

Die Verfilmung von Olivier Bourdeauts Bestseller-Roman von Régis Roinsard begint als Love Story, wird zum skurrilen Coming of Age-Film und endet in einer wilden Mischung aus Einer flog über Kuckucksnest, Big Fish, Mathilde – eine große Liebe und Der Schaum der Tage. Oder so ähnlich.

News/Neu erschienen 03. August 2022

"Wie können die Menschen bloß ohne meine Eltern leben?" Das fragt der kleine Gary, gespielt von Solan Machado-Graner, an einer Stelle des Filmes, an der er eigentlich gebrochen und traurig weinen müsste. Er meint damit den charmanten Hochstapler Georges (Romain Duris) und die "charismanische" Camille (Virginie), die beide nicht mehr in seinem Leben weilen. Dabei lehnt sich Gary – benannt nach Gary Cooper – an die gemütliche Hüfte von Charles (Gregory Gadebois), der ein enger Freund der Familie ist und Camille und Georges ein Leben in einem italienischen Schloss ermöglichte. Während die beiden leise seufzend diesem schillernden Paar nachsehnen, landet der zahme Haus-Zugvogel, den Camille während einer ihrer manischen Episoden verscheucht hatte, wieder an Garys Seite – und man könnte fast sagen: Irgendwie ist das wohl (k)ein Happy End.

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Auch wenn die Zusammenfassung dieser Szene ein wenig seltsam wirkt, sagt sie viel über diesen wundervollen Film von Régis Roinsard, der eine Verfilmung von Olivier Bourdeauts Bestseller-Roman ist. Denn diese zutiefst romantische Geschichte ist im Kern und im Tonfall seltsam – und zwar im besten Wortsinn. Warten auf Bojangles beginnt an der Seite von Georges an der Riviera in den später 50er-Jahren. Georges ist ein charmanter Hochstapler, der breit grinsend eine Reiche-Leute-Party crasht und schon nach wenigen Minuten ein Dutzend Drinks gegriffen, ein halbes Dutzend Biografien erfunden und mit seiner einnehmenden Art drei Dutzend Menschen begeistert hat. Bis den Leuten auffällt, dass sich die Geschichten und Dialekte widersprechen und ihn mit seinen Lügen konfrontieren. In diesem Moment trifft er Camille, die von Charles eingeladen wurde. Der wohlhabende Minister ist selbst in diese schöne, aufgedrehte Frau verliebt, merkt aber schnell, dass er wenig Chancen hat. Camille und Georges bezirzen, belügen und umgarnen sich. Und dann tanzen sie zum ersten Mal – während im Hintergrund "Mr. Bojangles" spielt. Jener Song von Jerry Jeff Walker aus dem Jahr 1968, den der Songwriter einmal "einen Walzer im 6/8-Takt über einen alten Mann und die Hoffnung" genannt hat. Ein Song, der oft gecovert wurde – am besten von Nina Simone. Und ein Song, der wie ein roter Faden durch den Film führt und uns einige wundervolle Tanzszenen beschert.

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Georges und Camille verbringen eine romantische Nacht in einer Kirche, malen sich auf der Fahrt dorthin knallbunte Lügenmärchen aus, geben sich für jede Gelegenheit einen passenden Namen. Einmal sagt Georges, er wolle alle Frauen lieben, die Camille sein möchte. Und schon hier merkt man – im Strudel aus schlagfertigem Flirten, poetischen Gedankenspielen und romantischen Gesten in den prallsten Farben – dass dieser anfangs noch hell strahlende Liebeswahnsinn die ein oder andere beunruhigende Note hat. So wundert es nicht, dass die Romanvorlage in den überwiegend positiven Kritiken als "skurril, leicht verrückt und am Ende verstörend" oder als "verstörend poetisch" beschrieben wurde – oder als "Achterbahnfahrt mit steilem Absturz, aber zuvor so knallvoll mit Höhen, dass dieser womöglich gar keine Rolle mehr spielt." Das gilt auch für den Film, der ebenso over the top ist, wie schon Bourdeauts Roman. Nachdem man also erst einen Liebesfilm sieht, dann eine wahnwitzig-charmante Coming-of-Age-Geschichte des Sohnes Gary (dem Ich-Erzähler des Romans), der in Paris inmitten von Partys, Lügenmärchen und Liebe aufwächst, landet man auf den letzten Metern des Films in einer wilden Mischung aus Einer flog über Kuckucksnest, Big Fish, Mathilde – eine große Liebe und Der Schaum der Tage. Oder so ähnlich. Eine ungewöhnliche Mischung, die aber nicht zuletzt wegen der großartigen Schauspieler:innen am Ende aufgeht.

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