Detailsuche

Bild zu Kennen Sie den schon? April und die außergewöhnliche Welt

Kennen Sie den schon? April und die außergewöhnliche Welt

Dieser ebenso spannende wie wunderschöne Zeichentrickfilm nach Ideen und Designs des Comickünstlers Jaques Tardi führt uns in eine Welt, die es nie aus dem Dampfzeitalter herausgeschafft hat. April und die außergewöhnliche Welt gibt es gerade bei ARTHAUS+ zu sehen.

18. November 2025

Bevor wir uns diesem wunderschönen Zeichentrickfilm von Christian Desmares und Franck Ekinci nach Ideen und Designs von Jaques Tardi widmen, müssen wir kurz über die Liebe der Franzosen zur Neunten Kunst sprechen. Dieser Begriff geht auf den Journalisten und Schriftsteller Francis Lacassin zurück. Er plädierte 1971 in seinem Essay "Pour un neuvième art. La bande dessinée" (Übersetzt: "Für eine neunte Kunst. Der Comic") dafür, ebenjene Kunstform nach Bildhauerei, Zeichnung, Grafik, Architektur, Fotografie, Fernsehen und Film als neunte Kunst zu zählen.

Im Grunde hat sich dieser Vorschlag durchgesetzt. Zumindest in Frankreich, wo selbst jedes verschlafene Küstenstädtchen in der Bretagne einen verdammt gut sortierten Comic-Laden hat. Wobei das Wort Comic schon fast ein wenig zu einschränkend ist: Die hohe Bedeutung von gezeichneten Bildern und Sprechblasen in der französischen Kultur resultiert auch aus der Tatsache, dass Frankreich die Graphic Novel schätzt: komplexe Geschichten zwischen Literatur und Comic, Kunst und Unterhaltung.

Video kann aufgrund der gewählten Cookie-Einstellungen nicht gezeigt werden.

2024 ehrte dann auch eines der bekanntesten Kunstmuseen der Welt die kulturelle Bedeutung der Comics und Graphic Novels: das Centre Pompidou in Paris lud zur großen Ausstellung "Bande dessinée 1964-2024" und führte mit vielen faszinierenden Originalzeichnungen aus aller Welt durch diese ebenso bunte wie tiefschürfende Welt. Ein Bild, das sich beim Autor dieses Textes besonders in die Erinnerung brannte, stammte aus Jaques Tardis "Grabenkrieg". In diesem Klassiker der Neunten Kunst erzählt Tardi die Erlebnisse seines Großvaters, der in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs kämpfte.

Das Bild (das man in dieser Galerie auf Position 13 sehen kann) zeigt einen Soldaten mit Gasmaske, der erschöpft in einer Blutlache sitzt. Um ihn herum sehen wir das Chaos der Schützengräben: aufgewühlte Erde, umgekippte Töpfe, Stacheldrahtfetzen, Munitionskisten, der Arm einer Soldatenleiche. Das Bild bewegt vor allem, weil man am Stil erkennt, dass dieser Künstler auch liebliche Bilder malen könnte – sich aber dazu entschied, dieses Grauen, das seine Familie prägte in seine Bildwelt zu bringen.

Die erwachsene April und ihr Großvater. © JE SUIS BIEN CONTENT / STUDIOCANAL / KAIBOU Production UMT Inc. / NEED Productions / ARTE France Cinéma

Die erwachsene April und ihr Großvater. © JE SUIS BIEN CONTENT / STUDIOCANAL / KAIBOU Production UMT Inc. / NEED Productions / ARTE France Cinéma

Man verzeihe den weit ausholenden Einstieg, aber er ist vielleicht nötig, um zu unterstreichen, dass ein Film nach Zeichnungen, Konzepten und Ideen von Jaques Tardi eine große Sache ist. Zumindest in seiner Heimat Frankreich. Aber: Es sollte auch hier eine große Sache sein.

April und die außergewöhnliche Welt kam 2015 in die französischen Kinos. Regie führten Christian Desmares und Franck Ekinci, das Drehbuch stammt von Ekinci und Benjamin Legrand. Der Film führt uns in eine von Tardi erdachte und gestaltete Parallelwelt, die man dem Steampunk-Genre zurechnen könnte und die geprägt ist von einer spürbaren Liebe zu den Arbeiten von Jules Verne, Hergé und H. G. Wells. Der Film spielt zu großen Teilen im Jahr 1941. Napoleon der Fünfte regiert in Frankreich. Auf der ganzen Welt verschwinden seit Jahren renommierte Wissenschaftler, was die Erde um viele wichtige Erfindungen gebracht hat.

In ganz Paris gibt es nur noch einen Baum – aber dafür immerhin zwei Eiffeltürme © JE SUIS BIEN CONTENT / STUDIOCANAL / KAIBOU Production UMT Inc. / NEED Productions / ARTE France Cinéma

In ganz Paris gibt es nur noch einen Baum – aber dafür immerhin zwei Eiffeltürme © JE SUIS BIEN CONTENT / STUDIOCANAL / KAIBOU Production UMT Inc. / NEED Productions / ARTE France Cinéma

Hier gibt es weder Radio noch Fernsehen, Elektrizität, Luftfahrt oder Verbrennungsmotoren – alles ist einer veralteten Technologie stecken geblieben, die immer noch auf Kohle und Dampf setzt. Die Folgen davon: Fast alle Bäume Europas sind verfeuert, man bekriegt sich mit Amerika und Kanada um wertvolle Ressourcen. Die Luft ist verpestet, die Welt grau. Es ist eines der schönsten und erschreckendsten Bilder, wenn die Heldin April – oder Avril, wie sie im französischen Original heißt (wo sie von Marion Cotillard gesprochen wird) – den Lieblingsort ihres verschwundenen Großvaters findet: Es ist der letzte Baum Frankreichs. Ausgestellt wie ein Museumsstück – und von den Pariser*innen vergessen.

April ist die Tochter einer Wissenschaftler-Familie und selbst ein junges Genie. Ihre Eltern verschwanden bei einem mysteriösen Angriff auf die dampfbetriebene Seilbahn, die Paris mit anderen europäischen Metropolen verbindet und zwischen den beiden Eiffeltürmen startet. Da war die Familie schon auf der Flucht vor den Schergen Napoleons, die alle verbliebenen Wissenschaftler*innen einsperren wollen, um neue Waffen zu bauen. Aprils Eltern sind kurz davor, ein wundersames Serum zu erfinden, das Menschen unverwundbar machen und die Umwelt des Planeten Erde heilen könnte. Als sie vor dem Kommissar Pizoni flüchten, attackiert eine mysteriöse, mit Blitzen schießende Wolke die Bahn. April glaubt, ihre Eltern sterben bei dem Angriff. In Wahrheit werden sie aber entführt und zu den hunderten anderen entführten Wissenschaftler*innen gebracht. Die leben im inneren der Erde unter der Aufsicht zweier intelligenter Echsen (Warane, um genau zu sein), und arbeiten ebenfalls daran, die Welt wieder Grün zu machen – denken sie zumindest. Eine der Echsen hält die Menschheit inzwischen eher für eine unbelehrbare Plage, die das Ende verdient hat.

Julius, April und der sprechende Kater Darwin in der Hohlerde. © JE SUIS BIEN CONTENT / STUDIOCANAL / KAIBOU Production UMT Inc. / NEED Productions / ARTE France Cinéma

Julius, April und der sprechende Kater Darwin in der Hohlerde. © JE SUIS BIEN CONTENT / STUDIOCANAL / KAIBOU Production UMT Inc. / NEED Productions / ARTE France Cinéma

All das findet die in Paris lebende April im Jahr 1941 mit Hilfe ihres Freundes Julius und dem sprechenden Kater Darwin nach und nach heraus – und man muss nicht groß spoilern, um zu verraten, dass es natürlich zu einer Familienzusammenführung kommen wird. Der Weg dahin wird in einem der schönsten, intelligentesten und empathischsten Zeichentrickfilme der letzten Jahre erzählt. Selbst wenn Aprils Welt naturgemäß zunächst von Grau- und Braun-Tönen regiert wird, steckt eine Schönheit in diesen Bildern und in dieser Geschichte, die Herz und Retina wärmt. Auch die in Telegram-Gruppen von Verschwörungsschwurblern beliebten Echsenwesen- und Hohlerde-Mythen wurden selten so schön aufbereitet. Im letzten Drittel erblüht diese Welt des Jaques Tardi regelrecht und der Film gibt in Sachen Spannung noch einmal ordentlich Druck auf den Kessel.

Sehenswert ist April und die außergewöhnliche Welt aber vor allem, weil dieser Film hat, was K.I. und Computeranimation selten erreichen: eine ästhetische Wärme und eine Detailverliebtheit, die uns manchmal gar auf die Idee brachte, einfach mal auf Pause zu schalten und ein besonders schönes Bild eine Weile länger anzuschauen.

Natürlich wurde dieser wunderschöne Film außerhalb von Frankreich eher über- als gesehen. Dennoch kommt es nicht von ungefähr, dass man fast nur positive Kritiken im Internet findet – oft von Menschen, die April und die außergewöhnliche Welt eher zufällig entdeckt haben. Vielleicht ja über eine Rubrik wie diese …

April und die außergewöhnliche Welt gibt es ab sofort bei ARTHAUS+. Hier geht's zum Channel bei Amazon und hier gibt's alle Infos zur ARTHAUS+ App.

DK

Dazu in unserem Magazin

Arthaus Stores

Social Media