Eraserhead beschäftigt die Filmwelt seit fast einem halben Jahrhundert. Kein Film davor war jemals so, und kein Film wird jemals wieder so sein: keinem Genre zuzuordnen, kein klares Thema verfolgend, beladen mit maximal vielen surrealistischen Metaphern und minimaler konkreter Handlung. Der Film war für Lynch selbst die ultimative Philadelphia-Story – es ist bis heute nicht ganz klar, ob man das als Kompliment oder Beleidigung zu verstehen hat. Der junge Filmemacher kommt als Student in die Metropole an der US-Ostküste, sieht im post-industriellen Stadtbild für ihn ungekannte Ausmaße an Gewalt, Angst und Verfall, lernt dort jedoch auch seine erste Frau kennen und wird erstmals Vater. Als er Anfang der Siebziger beginnt, an seinem ersten Spielfilm zu arbeiten, gibt es also einiges zu verdauen.
„Ich habe Eraserhead gefühlt, nicht gedacht“, sagt Lynch einmal. Und genau diesen intuitiven Approach wendet er nicht nur auf die Filmaufnahmen, sondern auch auf den Score seiner großen Albtraumgeschichte an. Der besteht nämlich nicht aus traditionell komponierter Musik, sondern abstraktem Noise. Präsentiert sich Eraserhead visuell als Erbe des expressionistischen Stummfilms und des deutschen Kinos der Zwanziger, ist seine Klanglandschaft bewusst oder unbewusst beeinflusst vom Bruitismus bzw. musikalischen Futurismus, von der Musique concrète und der seit den Sechzigern florierenden künstlerischen Avantgarde. Die Soundscape spiegelt dabei die dystopische Welt, in die Lynch seinen Protagonisten Henry Spencer (Jack Nance) pflanzt: Die düster grummelnden Bass-Frequenzen, das maschinelle Quietschen und das elektrische Summen und Hissen klingen nach schwerem Gerät, nach kaltem Metall und ätzendem Rost. Wir fühlen geradezu den Wind durch verfallene Industriehallen pfeifen, die vorbeidonnernden Züge die Wände erschüttern und das Brummen der Maschinen durch graue Betonmonolithen vibrieren. Diese Sounds malen Bilder und machen Eraserhead zu einer viszeralen, körperlichen Erfahrung.
„Ich habe früher immer gesagt, dass das Bild den Ton diktiert“, erinnert sich David Lynch 2014. „Aber manchmal ist es andersrum: Sounds beschwören Bilder herauf und kommen also als erstes. Ich denke, dass jeder Regisseur erkennen würde, dass der Ton 50 Prozent des Bildes ausmacht – zumindest ist das für mich so. Den Ton mit dem Bild zu vermählen, ist das Kunststück. Der Soundeffekt existiert nicht nur um seiner selbst willen, sondern ist Teil dieser Welt und damit vereint.“ Das Mindset, das Lynch hier beschreibt, ist in den frühen Siebzigern aber tatsächlich noch nicht so selbstverständlich wie er es sich vorstellt: Sein Sounddesign prägt die Art, wie Klang im Film verwendet wird. Sein Einfluss auf Musikgenres wie Dark Ambient, Drone und Industrial lässt sich darüber hinaus kaum erahnen.
Das alles schafft der junge David Lynch mit seinem Kopf voll fremdartiger Ideen aber nicht allein: Er baut diese Klanglandschaften – harsch, feindselig, nervenzehrend und bedrohlich wie seine Horror-Vision Philadelphias – zusammen mit Sounddesigner Alan Splet. Die beiden lernen sich bereits 1969 bei den Arbeiten zu Lynchs Kurzfilm The Grandmother kennen, später werden sie auch noch zusammen an Der Elefantenmensch, Der Wüstenplanet und Blue Velvet arbeiten. Splet hat vor Lynch nur an Industriefilmen gearbeitet. „David hat meine Filmwelt um etwa eine Million Prozent erweitert“, sagt er in den Achtzigern. Die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit: Neben Komponist Angelo Baldalamenti hat niemand sonst den Klang der Lynch’schen Filme so geprägt wie Splet. Ein Dreivierteljahr schrauben die beiden intensiv an der Tonspur von Eraserhead, bauen den Großteil der Sounds von Grund auf mit einfachsten Mitteln selbst oder manipulieren und entfremden Geräuscharchiv-Aufnahmen.
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Einerseits liegt das an dem quasi nicht existenten Budget des Projekts, das Lynch fünf Jahre seines Lebens kostet. Andererseits treffen hier zwei intuitive Künstler aufeinander, die nicht den Regeln der Vernunft folgen und etwas nie Dagewesenes erschaffen wollen – da müssen schonmal ungewöhnliche Mittel her. „Es gibt einen Punkt, an dem du logisch über Dinge sprechen kannst und danach musst du die Welt des Logischen verlassen“, erklärt es Alan Splet einmal. „Ich weiß nicht, wo viele dieser Ideen herkommen. Sie sind einfach da.“ Einen besseren Partner kann es für Lynchs surrealistische Erforschungen von Unterbewusstsein und Traumwelten doch gar nicht geben. Es liegt schließlich an dem Sounddesigner, die abstrakten Ideen des Filmemachers – oft nur vage Vorstellungen von Stimmungen oder Atmosphären – in konkrete Sounds zu übersetzen. Für Eraserhead sollen es unter anderem „schnappende, brummende, surrende, klopfende, blitzartige, kreischende, quietschende“ Geräusche sein, wie Splet sich erinnert.
Zwischen den vielschichtigen Deutungsebenen von Eraserhead wird der konstante Krach selbst zur Metapher, zum Ausdruck eines angsterfüllten, grausamen und paranoiden Lebens. Die Tonspur gibt uns einen Deutungsrahmen für das enigmatische Geschehen und hilft uns bei der Interpretation – etwa als Henry mit seiner Nachbarin Sex hat: Statt erotischen Geräuschen oder Musik hören wir das zermürbende Weinen seines Babys. Romantisch ist anders. Wir verstehen die Vaterschaft hier als nie enden wollende Qual, die sich über Henrys Existenz legt und sie langsam zerstört. Tatsächlich sind es in dieser industriellen Höllenlandschaft gerade die organischen Sounds, die Zeichen von Natur und neuem Leben, die uns am meisten verstören: das ständige Gurgeln und Quäken des Babys ebenso wie die Geräusche von Hundewelpen bei Henrys Schwiegereltern. Es wird klar: Diese Welt ist keine Welt des Lebens und der Menschlichkeit, sondern des Verfalls. Selbst die Dialoge sind kalt, mechanisch und unnatürlich.
Zur gespenstischen Atmosphäre tragen auch die verfremdeten Echos der Orgelmusik von Jazzpianist Fats Waller bei. Nostalgische Oldies spielen in den Filmen von David Lynch immer wieder eine Rolle, am prominentesten wohl in Blue Velvet, das gar nach dem gleichnamigen Song von Bobby Vinton benannt ist. In Eraserhead wirken die Orgelsounds durch ihren Kontrast zur Welt des Films gleichermaßen beunruhigend und spottend – wie langsam verblassende Erinnerungen an eine Zeit voll Leichtigkeit und Lebhaftigkeit, die für Henry nicht zu erreichen ist. Es ist Alan Splet, der Lynch diese Songs erstmals vorspielt. „Ich habe mir nie andere Musik für den Film angehört. Ich wusste, dass es das ist“, erinnert der Filmemacher sich einst.
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Der einzige wirkliche Song in Eraserhead ist In Heaven (Lady In The Radiator Song), komponiert von Peter Ivers. Aufbauend auf den im Film etablierten Orgelsounds wirkt dieses Stück Musik verträumt und friedvoll, aber auch gespenstisch. Da die Dame im Heizkörper oftmals als eine Art Todesengel interpretiert wird, ist ihr Frieden ein verhängnisvoller. Dieser Auftritt ist nicht nur der Klimax der Story, sondern wirkt bis heute durch zahlreiche Coverversionen ihres Songs (u.a. von Pixies, Zola Jesus, Fontaines D.C.) in der Popkultur nach.
Eraserhead gelingt 1977, was nur wenige Filme schaffen: Er klingt schlicht exakt so, wie er aussieht und sich anfühlt; der Score ist der Film. David Lynchs Klangcollage aus braunem Rauschen und industriellem, urbanem Lärm ist damit eines seiner großen Meisterstücke – und dabei hat er damit gerade erst angefangen.
Christina Wenig