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Angelo Badalamenti: Lynchs musikalische Seele

Der Komponist, dessen Musik untrennbar mit den Filmen von David Lynch verbunden ist, ist am 11. Dezember 2022 im Alter von 85 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

14. Dezember 2022

Der Soundtrack der 1990er Jahre? Klänge, die unmittelbar Erinnerungen an die ausgehende Dekade des vergangenen Jahrtausends auslösen, so wie die Madeleines in Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" Kindheitstage heraufbeschwören, sobald sie in den Tee getaucht werden? Für die einen mag Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" eine solche Wirkung entfalten, für andere dürfte zweifellos das "Twin Peaks Theme" den genannten Effekt haben. Der Score von Angelo Badalamenti zur Fernsehserie von David Lynch ist heute so eng verknüpft mit dem Aufbruch in die 1990er Jahre (und dem heißen Ende der kalten 1980er), weil er ebenso stark mit dem Kunstwerk verbunden ist, von dem damals alle sprachen und das dennoch bis heute sprachlos macht. Ein paar Takte genügen, und man ist komplett verloren. Die ganze Welt von Twin Peaks ist in der minimalistischen Musik enthalten, die auf dem Stand der damaligen Studiotechnik durchaus raffiniert aufgenommen wurde. Badalamentis "Twin Peaks Theme" trägt jene halb erlösende halb verstörende Komponente in sich, die man nicht allein durch Komposition erreicht. Der Vibe des Stücks ist ungefähr mit dem Moment vergleichbar, wenn etwas Wasser aus dem Ohr fließt, das sich dort festgesetzt hatte, nachdem man dafür lange genug auf einem Bein herumgesprungen ist. Tröstlich angesichts der Unergründlichkeit eigener Untiefen. Unheimlich und schön.

Albtraumhaftes Szenario: "Twin Peaks – Der Film" © Studiocanal

Albtraumhaftes Szenario: "Twin Peaks – Der Film" © Studiocanal

Zeit verfliegt und Musik wie Angelo Badalamentis "Twin Peaks Theme" fängt sie ein wie einen Vogel und läuft ein paar Runden mit dem Schatz in der Hand herum und lässt ihn wieder frei. So verströmt "Twin Peaks Theme", auch bekannt in der Version mit Gesang von Julee Cruise, diesen unvergleichlichen Spirit, der auch die Serie durchdringt. Eine beklemmende Klammheit, die man als Zuschauer:in nicht aus den Knochen bekommt und ein Leben lang mit den Figuren aus Twin Peaks und mit der Wasserleiche Laura Palmer verbindet – und die zugleich ein Gefühl der Geborgenheit im rätselhaft Bekannten vermittelt.

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Traumhafte Musik: "Twin Peaks Theme"

Badalamenti und Lynch – die beiden gehören für Filmfans zusammen wie Ennio Morricone und Sergio Leone. Und während dem 2020 verstorbenen Morricone just ein Dokumentarfilm mit dem deutschen Titel "Der Maestro" gewidmet ist, darf man Kollege Badalementi diesen Titel posthum ebenfalls verleihen. Seine meisterliche Karriere nahm 1937 ihren Anfang, als er in New York City geboren wurde. Ab dem achten Lebensjahr wurde Badalamenti am Klavier ausgebildet, schlug sich lange Jahre als Musikproduzent durch (die wenigsten dürften wissen, dass er unter anderem mit den Pet Shop Boys arbeitete) und fand in der fortlaufenden Kooperation mit David Lynch seit dem Soundtrack zu Blue Velvet 1986 schließlich seine Bestimmung.

Neben Wild at Heart, Twin Peaks – Der Film, Lost Highway und Mulholland Drive zeichnete er für auch für den unkonventionellen Score zum ungewöhnlichen Lynch-Film The Straight Story – Eine wahre Geschichte verantwortlich. Es gilt selbst für die Musik zur Reise des Alvin Straight, der 400 Kilometer auf dem Rasenmäher zurücklegt, um seinen Bruder zu besuchen: Die Chemie zwischen Badalamenti und Lynch sorgte stets für einen Signature Sound, dessen Charakter sich von sämtlichen Kompositionen unterschiedet, die Badalementi für Filme anderer Regisseure beisteuerte. Am 11. Dezember 2022 ist Angelo Badalamenti verstorben. Mit etwas Pathos, das in diesem Fall erlaubt sein sollte, allein um die mythische Tiefe der hinterlassenen Kunst und die Banalität der Todesnachricht in Einklang zu bringen, kann man sagen: Die Seele jenes Maestro ist in den Himmel aufgestiegen, dem Lynchs Werk seine musikalische Seele verdankt.

WF

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