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Besondere Videotheken und ihre Geschichte: Traumathek in Köln

Seit über 25 Jahren umschifft Traumathek-Betreiberin Karin Hüttenhofer alle Fährnisse des Markts und hält einen Laden über Wasser, der weitaus mehr bedeutet als Regale voller guter Filme. Wie es dazu kam und ob diese Nische eine Zukunft hat? Ein Gespräch mit der Videothekarin aus Leidenschaft.

Persönliches/Besondere Videotheken und ihre Geschichten

05. August 2020

Welchen Film hast du bei deinem ersten Kinobesuch gesehen. Und gibt es einen VHS-Filmabend, der dir in besonderer Erinnerung geblieben ist ?

Leider erinnere ich mich nicht mehr an meinen ersten Kinobesuch. Ein einschneidendes Erlebnis war, als ich mit einer Freundin den ersten Zombiefilm von George Romero im Kino gesehen habe. Zombie startete 1979 in Deutschland in den Kinos, in der Uncut-Version ab 18 Jahre. Und wir waren gerade mal 15 Jahre alt, der Kassiererin war das aber schnuppe, sie fragte nicht einmal nach unserem Alter. Wir freuten uns und fanden es cool, dass wir einen Horrorfilm für Erwachsenen im Kino sehen konnten. Ich habe immer noch die berühmte Fahrstuhlszene vor Augen. In den 1980ern wurde Zombie dann auf VHS beschlagnahmt, ein wahrlich böser Film, haha. Und wir hatten ihn im Kino bereits als 15-Jährige gesehen.
VHS-Filmabende und vor allem -Filmnächte, davon hatte ich etliche, in allen Genre-Variationen und -Kombinationen. Keiner ist mir in besonderer Erinnerung geblieben, schade. Aber toll waren die meisten.

Im Trubel der Jubiläumsfeier © Privat

Im Trubel der Jubiläumsfeier © Privat


Wie und wann bist du dazu gekommen, eine Videothek zu eröffnen?


Schon in meiner Jugend in der Kleinstadt Ravensburg in Süddeutschland bin ich in die Subkultur geraten, die in den 1980ern, anders als heute, überall sehr stark war. Und innerhalb dieser Subkultur mit ihren andersartigen, von der Bürgerlichkeit scharf abgegrenzten Werten, und mit ihrer Musik und ihren Filmen bin ich sozialisiert worden.
Als ich dann 1988 zum Studium nach Köln kam, war mein Umfeld natürlich das gleiche, es ging um eine andere Art von Kultur und von Lebensführung im allgemeinen und um Musik und Film im besonderen, und natürlich auch ums Nachtleben. Weil ich später merkte, dass das Studium meinen Vorstellungen überhaupt nicht entsprach und sowieso nicht in mein Leben passte, stellte sich bald die Frage: Was tun?

Das Ladenlokal in der Kölner Engelbertstraße © Privat

Das Ladenlokal in der Kölner Engelbertstraße © Privat

Zu der Zeit gab es in Berlin das Videodrom, dessen Inhaber Graf Haufen einen Mailorder-Versand führte. Darin bot er etliche ungewöhnliche VHS-Tapes an, wovon die meisten aus Holland, England, Hongkong importiert wurden. Sie waren im Original, unsynchronisiert mit englischen Untertiteln. Und vor allem: ungeschnitten. Alle diese Videos konnte man sich in keiner Kölner Videothek ausleihen, oder sie waren, schlimm genug: synchronisiert, und/oder, noch schlimmer: geschnitten. Da die Preise der Videos sehr hoch waren, für den Privatmenschen teils kaum erschwinglich, dachte ich mir, es sei doch toll und sozial und eine Bereicherung für alle, wenn man sie sich auch in Köln ausleihen könnte. Und also ward eine Film-Nische geboren. 1994 habe ich dann aus dieser punkigen Haltung heraus mit meinem damaligen Freund die Traumathek gegründet: "Do it and do it yourself".



Kannst du die Geschichte der Traumathek im Schnelldurchlauf zusammenfassen?

Die Gründung der Traumathek als Internationale Videothek für Filmkunst war also 1994. Danach entwickelten sich die Nachfrage und unser Angebot wechselseitig ständig nach oben. War ja auch klar: Wer, der sich für Film interessierte, wollte synchronisierte, zerschnittene, zerstörte Filme sehen? Die wollten alle die Originale haben und die boten wir an. Also kamen immer mehr Filme und Filmsparten ins Programm und damit immer mehr Kunden. Übrigens: Pornografie, das große Geschäft aller normalen Videotheken, früher wie heute, hatten wir nie im Angebot. Zwei Mal sind wir dann umgezogen, bis wir 2007 in unserem heutigen großen Laden in der Engelbertstraße gelandet sind. In all den Jahren haben wir bemerkt, dass wir zwar eine Videothek sind, aber dass wir auch ein Archiv sein möchten, eine Sammelstelle für all die Filmkunst, die sonst verloren ginge. Mittlerweile verwalten wir ein Archiv von über 17.500 Datenträgern beziehungsweise Titeln, von VHS über DVD zu Blu-ray.
Als das Geschäft aus naheliegenden und bekannten Gründen ab irgendeinem Zeitpunkt immer schlechter ging, habe ich 2014 unser Filmcafé eröffnet, um wenigstens teilweise den Rückgang im Verleih zu kompensieren. Gut, dass ich Platz hatte und Unterstützung bei der komplizierten Beantragung der Gastronomie. Als auch dies nicht mehr reichte, habe ich das Studio Argento, dessen Name - na klar! - Referenz an Dario Argento ist, eingerichtet, unser Ladenkino für 35 Zuschauer, das war Ende 2016. Es ist übrigens in Profondo-Rosso-Blutrot gestrichen… Das Kino dient auch als Veranstaltungsraum für filmbezogene Themen und so waren inzwischen etliche bekannte Filmjournalisten, -wissenschaftler, -institutionen bei uns zu Gast.

»Wenn ein Paket mit vielen Filmen ankommt, ist das für mich immer noch wie Weihnachten«

Vorher jedoch wurde 2017 die Lage sehr prekär und wir mussten einen öffentlichen Hilfe-Aufruf starten, um nicht schließen zu müssen. Glücklicherweise kam genug Geld zusammen, um weitermachen zu können. Dafür war ich sehr dankbar. Übrigens, worauf wir hier sehr stolz sind: Die Traumathek mit ihrem großen Archiv an Internationaler Filmkunst hat seit Beginn 1994 ihre Preise nicht erhöht. Gibt’s doch gar nicht, oder?!
Das war’s mit der Geschichte der Traumathek. Bleibt vielleicht noch zu erwähnen, daß wir letztes Jahr 2019 im Sommer an einem der schönsten Tage des Jahres eine große, wunderschöne 25-Jahre-Jubiläumsfeier mit Freunden, Kunden, Unterstützern, Geschäftspartnern gefeiert haben, 24 Stunden lang bis zum Morgen – eben 24 Hour Party People. Das war wirklich einmalig und wunderschön, noch heute erinnert man sich daran, und die Party gilt als die schönste des Jahres 2019.

Idealismus und Selbstausbeutung und gute Laune © @Privat

Idealismus und Selbstausbeutung und gute Laune © @Privat

Welche waren die größten Schwierigkeiten, die du in dieser Zeit zu meistern hattest? Und die schönsten Erlebnisse?

Oh, das ist ein weites Feld, das würde viel zu lang werden. Wir waren im Laufe der Zeit mit so vielen Schwierigkeiten konfrontiert, ich kann mich nicht einmal mehr an alle erinnern. Ich versuche es mal allgemein und stichwortartig: Wandel in der Filmlandschaft, Wandel in den Sehgewohnheiten, Änderungen des Kundenprofils, Älterwerden unserer Stammkunden, Gentrifizierung unseres Viertels, technologischer Wandel (VHS? Wer kennt die noch?), Streaming-Dienste, Rechte-Streitigkeiten, Umwandlung der Erwachsenenvideothek (wegen der indizierten Filme) zur Familienvideothek, Erarbeitung neuer Geschäftsfelder (Gastro, Kino, Lizenzen, Rechte), Geld (ja, ein großes Problem bei uns), Platz (na klar, wenn man ein ständig wachsendes Archiv zu pflegen hat), und so weiter. Und neuerdings als großer Einschnitt auch bei uns: Corona.

»Ich behandle alle meine Filme gleich«

Insgesamt kann ich sagen: Wir wurden im Laufe der vielen Jahre immer wieder gezwungen, uns in vielerlei Hinsicht anzupassen und zu wandeln, um das Geschäftsmodell aufrecht erhalten zu können. Das hat Kraft gekostet, aber auch Freude und Befriedigung gegeben.
Die schönsten Erlebnisse... Ich sage immer: Als Videothekarin könnte ich ein Buch schreiben, so viel habe ich hier in der und um die Traumathek herum erlebt. Eines der schönsten Erlebnisse war sicher die oben erwähnte Jubiläumsfeier. Dann erinnere ich mich natürlich an all die schönen unterhaltsamen Abende und Nächte, die wir hier im Filmcafé zusammen saßen. Mit Gästen und Künstlern – nach deren Vorstellungen im Studio Argento. Andere sehr schöne Erlebnisse waren und sind die Begegnungen mit etlichen Menschen, die sich für Film interessieren, zum Beispiel Kunden, die Beratung wünschen und sie dann auch annehmen und glücklich zurückkommen und sagen, wie sehr ihnen der Film gefallen oder wie viel ihnen der Film gegeben hat. Oder auch die Gespräche mit unseren über 70 Clubmitgliedern, von denen einige seit 1994 dabei sind. Und, was keiner glauben mag: Ich freue mich immer noch, wenn ein Paket mit vielen Filmen ankommt, das ist für mich immer noch ein bisschen wie Weihnachten.

Die Traumathek kann sich überall sehen lassen © Privat

Die Traumathek kann sich überall sehen lassen © Privat

Was für ein Angebot an Filmen und sonstigen Angeboten umfasst die Traumathek heute?

Früher hatten wir hauptsächlich Horror, Splatter, Trash, Experimental, Abseitiges; natürlich für unser Stammpublikum, das mit uns groß geworden war. Inzwischen ist der Anteil an Arthouse, Kunstfilm, Hollywood- und Mainstreamfilmen höher, da diese mehr nachgefragt werden. Natürlich vergessen wir nie, woher wir ursprünglich kommen; noch heute liegen uns die abseitigen Filmlandschaften sehr am Herzen. Das kann jeder feststellen, wenn er unseren 17.500-Titel-Online-Gesamtkatalog durchstöbert.
Das sonstige Angebot in der Traumathek ist breit gefächert: Filmcafé und Kino, das man auch privat mieten kann, habe ich erwähnt. Es gibt eine Clubmitgliedschaft für den Verleih, von einer Designerin entworfene Traumathek-T-Shirts, ungewöhnliche DVDs/Blu-rays zum Kauf, Filmplakate, Fachbücher zum Thema Film und Feminismus, ausgewählte Vinyls, darunter etliche Soundtracks, unsere berühmten bunten Traumathek-Taschen mit Anna Karina, Giddy- und Jungshefte, Filmpostkarten, politische Buttons und noch vieles mehr. Am besten mal vorbeischauen.

Seit wann gibt es auch Filmvorführungen und nach welchen Kriterien wählst du die Filme aus?

Seit 2016 machen wir das Ladenkino Studio Argento, inzwischen mit ca. 70 bis 80 Screenings pro Jahr, wenn nicht gerade das Coronavirus dazwischen kommt. Es werden nur solche Filme gezeigt, die die drei Beschäftigten hier, Florian Prasser (Filmexperte und Autor), Christoph Hausmann (Recherche und Rechte), und ich (als Inhaberin und Filmliebhaberin), für sehenswert halten und deren Rechte gleichzeitig bezahlbar sind. Massenkino, Massenware, heutige Blockbuster, schlechte Filme, Filme ohne Bedeutung für Filmkunst oder Filmgeschichte werden bei uns radikal nicht gezeigt.

Karin Hüttenhofer mit Jörg Buttgereit © Privat

Karin Hüttenhofer mit Jörg Buttgereit © Privat

Welchen Stellenwert spielt das Soziale für deinen Laden? Hast du Stammkunden, die seit Anfang zu dir kommen? Wie sieht es mit jüngerem Publikum aus? Gibt es "Nachwuchs"?

Das Soziale bei mir im Laden hat den allerhöchsten Stellenwert. Es war ja von vornherein gedacht, einen Verleih für die anderen zu machen, für Menschen mit den gleichen Filminteressen, für Cineasten, für Nerds. Das Miteinander, das Teilen, das Reden, das Füreinander (das sich zum Beispiel sehr deutlich beim Hilfe-Aufruf gezeigt hat, als uns alle ohne Wenn und Aber unterstützt haben), das waren für mich stets ganz wichtige Werte, die ich natürlich auch hier leben möchte. So erklärt sich, weshalb wir Mitarbeiter der Traumathek so idealistisch und leidenschaftlich und völlig unterbezahlt immer weitermachen, ohne die soziale Bindung zwischen uns und den Kunden gäbe es die Traumathek sicher nicht mehr.
Wir haben unter anderem durch die Clubmitgliedschaft viele Stammkunden und viele davon kommen seit zig Jahren zu uns, einige tatsächlich von Beginn an, mit einigen sind wir durch die Jahrzehnte gegangen mit allem, was das Leben uns beschert, von einigen kommen inzwischen die erwachsenen Kinder. Das ist ein schönes Gefühl.

»Als Videothekarin könnte ich ein Buch schreiben, so viel habe ich hier in der und um die Traumathek herum erlebt«

Die Sorge, dass unsere Kundschaft überaltert, ist in den letzten Jahren beständig gewachsen, inzwischen jedoch einem lakonisch-unbegründeten Gleichmut gewichen. Ja, ganz deutlich: Unsere Kundschaft wird älter, wandert ab, schwindet, und junge oder gar neue Freunde des Films, wie wir ihn verstehen, wachsen zu wenig nach, kommen kaum neu zu uns. Dafür gibt es etliche Gründe: Anbieter wie Netflix, Konfektionsfilme durch Algorithmen, Serien-Manie allüberall, Zusammenwachsen von TV/Internet, illegales Streamen, Preisverfall und Verramschung bei DVDs/Blu-rays, neue Sehgewohnheiten (Smartphones, kurze Clipse, schnelle Schnitte), geringere Konzentrationsspannen, irrationales Konsumverhalten, Zeit-, Stress-, Verdichtungsänderungen, Monopolisierung in sämtlichen Lebensbereichen, Ausweitung des Mainstream-Denkens und -Diktats mit zunehmender Ausgrenzung Andersdenkender, und so weiter.

Interessiert dich das Schicksal anderer Videotheken, oder gibt es sogar einen Austausch? Wo liegt die Zukunft der Traumathek?

Ja, wir sind interessiert am Schicksal anderer Videotheken als Gesamtblick auf den Zustand des Videotheken-Marktes, der inzwischen immer schneller schrumpft, fast zusammenbricht und stirbt. Allerdings haben wir uns schon immer von 95% der normalen Videotheken ganz wesentlich unterschieden. Nur mit einer Videothek sind wir befreundet seit fast 30 Jahren und nehmen Anteil an deren Schicksal, und das ist Graf Haufen mit dem Videodrom in Berlin. Wir tauschen uns regelmäßg aus und trösten uns auch gegenseitig, wenn es nötig wird. Für uns beide sind es schwierige Zeiten und das Ende vielleicht absehbar.
Unsere Zukunft? Die Zeit läuft gegen uns. Gegen all die Änderungen und Widrigkeiten können wir nicht ankommen und wir wissen, dass die Traumathek dem Untergang geweiht ist. Aber das ficht uns gar nicht an, wir halten es wie Hayao Miyazaki vom legendären Studio Ghibli, der lächelnd, zuversichtlich, fast glücklich erklärt: "Wir werden untergehen."

Ein Ort zum Verweilen und Stöbern © Privat

Ein Ort zum Verweilen und Stöbern © Privat

Magst du eigentlich Tarantino?

Na klar, Tarantino muß man mögen ohne jede Einschränkung. Nicht nur als Regisseur herausragender einmaliger Filme und nicht nur wegen seiner unzähligen Anspielungen und Referenzen und nicht nur als unübersehbarer Teil der Filmgeschichte. Noch viel mehr und zuallererst muss man ihn mögen, weil er ein tiefes Old-School-Verständnis von Film und von Filmkunst, von Bildern und deren Inszenierung hat, das man kaum noch findet. Welcher Regisseur verweigert sich standhaft und ehrenwert den hässlichen Digitalkameras mit ihren unsäglich falschen, schlechten Bildern des Schärfeterrors? Welcher Regisseur hat jahrelang idealistisch und unterbezahlt (wie wir!) in einer Videothek gearbeitet und dabei alles aus den zahlreichen Filmen gelernt, was es zu lernen gab? Und welcher Regisseur brennt so vor wort- und gestenreicher Leidenschaft wie er, im Gegensatz zu vielen anderen, die selbstbezogen und satt lahme Langweil-Interviews geben? Außerdem ist er im Herzen ein Romantiker und auch dies ist selten geworden. Tarantino ist toll. Seit Jahren versuchen wir, ihn hierher einzuladen und wer weiß, vielleicht kommt er ja mal. Dann sagen wir niemandem Bescheid, schließen die Türe ab und verbringen hier im Archiv zu viert (wir drei aus der Traumathek und er) drei Tage und Nächte bei Pizza und Kaffee nur mit Stöbern und Austausch über diesen und jenen und solchen Film!

Hast du einen absoluten Lieblingsfilm?

Nö, das geht einfach nicht. Es gibt so viele Filme, wenn ich einem den Vorzug gebe, beschweren sich die anderen, das kann ich ihnen nicht antun. Es gibt wohl einige Regisseure, die ich bevorzuge, und manche Genres, die mir näher stehen. Aber meine Filme behandle ich alle gleich.

WF

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