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Angst essen Seele auf: Wie Rainer Werner Fassbinder einmal versuchte, den Deutschen ihren Rassismus auszutreiben

Nicht nur am Internationalen Tag gegen Rassismus lohnt es sich, noch einmal Angst essen Seele auf zu schauen. Ein Film, der ebenso ergreifend wie politisch ist. Und leider noch immer aktuell. Was vielleicht nicht mehr so wäre, wenn das deutsche Kino Fassbinders Weg gefolgt wäre und sich mit ähnlich emphatischem Blick dieser "Gastarbeiter"-Generation gewidmet hätte …

Filmgeschichten/Drehmomente 21. März 2021

Rainer Werner Fassbinder schaffte es mit diesem Film aus dem Jahr 1974, zugleich "Enfant Terrible" und warmherziger Erklärbär des deutschen Kinos zu sein. Angst essen Seele auf ist vordergründig ein melodramatisches Lehrstück, das relativ direkt von einer gesellschaftlich verpönten Liebe erzählt. Die verwitwete, gut 60-jährige Putzfrau Emmi trifft eines Abends den jüngeren, marokkanischen "Gastarbeiter" Ali, der sie nach einem gemeinsamen Tanz in einer Münchener Kneipe nach Hause begleitet. Die beiden wissen selbst nicht so ganz, was das alles soll, aber sie unterhalten sich auf ihre Weise sehr vertraut. Ali heißt eigentlich El Hedi ben Salem m’Barek Mohammed Mustafa und nicht Ali, "aber alle nennen so. Jetzt ich Ali." Er wärmt sich an der neugierigen Empathie Emmis. Emmi wiederum genießt erstaunt die Anwesenheit dieses attraktiven Mannes und bemerkt, wie Ali immer wieder Dinge auf den Punkt bringt, die sie unbewusst beschäftigen. Zum Beispiel, dass sich ihre drei Kinder kaum mehr für sie interessieren. Dazu sagt Ali einmal: "Bei uns in Marokko Familie immer zusammen, Mama nix allein." Aus der Begegnung wird recht schnell eine Ehe, die Emmis Familie in Wut versetzt (Fassbinder spielt übrigens einen Schwiegersohn), die Nachbarinnen zum Tuscheln bringt und Emmi immer wieder mit dem Rassismus ihrer Mitmenschen konfrontiert, der nun nicht mehr nur Ali trifft. Als die Probleme von außen langsam weniger werden, ist es wiederum Emmi, die in rassistische Verhaltensmuster verfällt, was dazu führt, dass sich Ali von ihr distanziert. Ein richtiges Happy End gönnt Fassbinder uns dabei nicht – aber zumindest um die Liebe der beiden steht es am Ende wieder ganz gut.

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In einem Interview mit Hans Günther Pflaum antworte Fassbinder damals auf den Vorwurf, er habe eine "provozierend einfache, vereinfachte Geschichte" erzählt: "Ich finde, dass Geschichten, je einfacher sie sind, auch um so wahrer sind; der gemeinsame Nenner für viele Geschichten ist dann eine Geschichte, die so einfach ist. Wenn wir die Figur des Ali noch komplizierter gemacht hätten, dann hätten es die Zuschauer noch schwerer gehabt, mit dieser Geschichte fertig zu werden. Wäre diese Figur noch komplexer geworden, so hätte es der einen Seite, der Kindlichkeit dieser Beziehung zwischen Ali und Emmi, sehr geschadet – während jetzt die Geschichte so naiv ist wie die beiden Menschen, um die es geht." Fassbinder machte keinen Hehl daraus, dass dieser Film ein großes Publikum ansprechen sollte und solche "Beziehungen natürlich viel komplexer sind, das ist mir schon klar. Aber da bin ich der Ansicht, dass jeder Zuschauer sie selbst mit seiner eigenen Realität auffüllen müsste. Und die Möglichkeit hat er halt auch, wenn eine Geschichte so einfach ist. Ich finde, die Leute müssen ihre eigenen Veränderungsmöglichkeiten finden – sicher, man kann auch streng ideologisch vorgehen, aber das finde ich für das große Publikum nicht so relevant."

Ali mit seiner Clique in der Kneipe, kurz bevor er Emmi zum Tanz bittet. © Kinowelt GmbH

Ali mit seiner Clique in der Kneipe, kurz bevor er Emmi zum Tanz bittet. © Kinowelt GmbH

In dieser betont naiven Einfachheit liegt auch die große Kraft dieser Geschichte – und damit ein Teil der Provokation. Denn das Deutschland der 70er war natürlich zutiefst rassistisch und wollte das damals wie heute nicht hören. Fassbinder schafft es dabei, die Doppelmoral der BRD – die billige Arbeitskräfte aus Italien, der Türkei oder eben Marokko einlud, sie euphemistisch "Gäste" nannte und sich einen Dreck um sie scherte – in pointierten Szenen zu sezieren. So zum Beispiel beim ersten Tanz von Emmi und Ali, bei dem im Hintergrund dann auch noch der rassistische Schlager "Du schwarzer Zigeuner" von Vico Torriani läuft:

"Was arbeiten sie denn?"
"Mit Autos. Ganze Tag. Immer."
"Und abends gehen Sie dann hier her?"
"Ja. Hat schöne Musik. Viele Kollege arabisch. Meist nickt andere Platz. Deutsch mit arabisch: nix gut."
"Warum?"
"Weiß nickt. Deutsch mit arabisch nickt gleiche Mensch."
"Aber am Arbeitsplatz."
"Nickt gleich. Deutsche: Herr. Arabisch: Hund."
"Aber das …"
"Egal. Nix viel denken. Gut. Viel denken. Viel weinen."

In diesen so simplen wie kräftigen Worten und dem natürlich eher als Kunstsprache zu sehenden Deutsch Alis steckt die ganze unmenschliche Situation der „Gastarbeiter“ dieser Zeit. Und trotzdem schwelgt man gemeinsam im Rhythmus der beiden und spürt die Wärme dieser Szene.

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Die zweite Provokation Fassbinders war schließlich die Besetzung. Brigitte Mira war damals zwar eine in Berlin im Theater und im Kabarett geschätzte Volksschauspielerin, wurde jedoch viel zu oft auf die Rolle der komischen Tante oder der nervigen Haushälterin reduziert. Sie nun in einem Drama für die Rolle einer Putzfrau zu besetzen, die sich in einen jungen "Gastarbeiter" verliebt, war ein Wagnis, da ihr viele Kritiker*innen die dramatische Tiefe im Vorfeld nicht zutrauten. Außerdem stand Mira für ein Kulturumfeld, in dem eher konservative Werte hochgehalten wurden, während Fassbinder bekanntlich schon damals wild um sich rum liebte, Männer und Frauen zugleich, und in seinem Ensemble durchaus übergriffig die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verwischte. Dafür stand wiederum der tunesisch-marokkanische Schauspieler El Hedi ben Salem, der leider nur wenige Jahre später verstarb. Er war zeitweise der Lebensgefährte Fassbinders, nachdem sie sich angeblich 1971 in einer Pariser Sauna, in der sich Homosexuelle trafen, kennengelernt hatten. El Hedi ben Salem war Familienvater, spielte in vielen Fassbinder-Filmen mit, sprach aber nur rudimentär Deutsch. Deshalb wurden seine Szenen im Nachhinein immer von Wolfgang Hess nachsynchronisiert – was auch erklärt, warum Alis Deutsch, wie eine Kunstsprache klingt. Die natürlich gerade aufgrund ihrer poetischen Wortauslassungen besonders gut wirkt. Trotzdem weiß man ja inzwischen dank Celo & Abdi oder Haftbefehl, dass die deutsche Sprache eher durch Vermischung reicher wird als durch Auslassungen – aber das ist ein anderes Thema.

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Die dritte Provokation Fassbinders war es schließlich, eben nicht wie die meisten Filme deutscher Regisseure, die das Thema "Gastarbeiter" für sich entdeckten, auf "Betroffenheitskino" zu setzen. Zwar gibt es diese sehr deutlichen Szenen, die den Alltagsrassismus zeigen, aber es gibt eben oft auch eine geradezu naive Wärme. Schon die ersten Worte von Emmi sind eine Einladung zu Neugier und Empathie für diese interessanten Menschen, die ihre Heimat hinter sich ließen, um für uns Deutsche das Wirtschaftswunder am Leben zu halten. Und dabei oft mit Kälte, Ausbeutung, Misstrauen, Ignoranz und Rassismus "begrüßt" wurden. So erzählt Emmi der Barbesitzerin zu Anfang des Films: "Verzeihen Sie, aber draußen regnet es so stark. Verstehen Sie? Und da habe ich gedacht, Emmi, habe ich gedacht, geh doch einfach rein in die Wirtschaft. Ich komme nämlich jeden Abend hier vorbei und höre die fremde Musik von draußen. Was ist das für eine Sprache, die sie da singen?" Emmi ist einsam, aber eben auch neugierig auf die Musik und die Menschen, die sie hören. Emmi schaut nicht auf die Vorurteile über "Gastarbeiter", die in der konservativen Presse, im Boulevard und beim Händler an der Ecke die Runde machen – sie fragt einfach mal nach und geht auf Menschen zu, die ihr erst fremd erscheinen. Später gibt es weitere Wendepunkte, zum Beispiel wenn sich der Vermieter Emmis plötzlich als guter Mensch entpuppt und zwei tratschenden Mieterinnen des Hauses klarmacht, dass Emmi und Ali mehr Anstand haben als diese Lästerziegen.

Emmi wird in der Mittagspause geschnitten, nachdem ihre Kolleginnen von ihrer Liebe zu Ali erfahren haben. © Kinowelt GmbH

Emmi wird in der Mittagspause geschnitten, nachdem ihre Kolleginnen von ihrer Liebe zu Ali erfahren haben. © Kinowelt GmbH

Dieses Pendeln zwischen Momenten der Wärme und ausgefilmtem Alltagsrassismus in Angst essen Seele auf, wirkt auch heute noch erstaunlich intensiv. Kaum eine Ankündigung einer TV-Ausstrahlung und keine Kritik zum Theaterstück kommt ohne Formulierungen wie "noch immer erschreckend aktuell" aus. Was leider daran liegt, dass Deutschland die Themen Rassismus und Integration noch immer nicht zufriedenstellend angeht. Rassismus wird seit 2015 wieder offen als politische Agenda gefahren, institutioneller Rassismus gerne geleugnet und Integration als einseitige Anstrengung betrachtet, frei nach dem Motto: "Wer hier hinkommt, hat sich zu integrieren!" Dass dieser Prozess auch eine Gesellschaft erfordert, die offen und neugierig ist und den Reichtum erkennt, den das Vermischen von Kulturen und Abbauen von Grenzen mit sich bringen kann – das wird gerne aus der breiten Diskussion herausgenommen, damit man sich weiter an den natürlich vorhandenen Problemen eines solchen Prozesses abarbeiten und damit den Rassismus befeuern kann.

Angst essen Seele auf bleibt bei all dem ein faszinierender Versuch, die Erfahrung eines "Gastarbeiter"-Lebens in das deutsche Kino zu bringen und sie in eine Geschichte zu betten, die auch "das große Publikum" anrühren kann. Damit steht der Film Seite an Seite mit anderen Geschichten deutscher Filmschaffender wie Shirins Hochzeit (1976) von Helma Sanders, Aus der Ferne sehe ich dieses Land (1978) von Christian Ziewer und Palermo oder Wolfsburg (1980) von Werner Schroeter. All diese Filme sahen den Reichtum, die Dramatik und die gesellschaftliche Sprengkraft des Themas, das man sich im deutschen Kino der Zeit und der Jahre danach gerne noch präsenter gewünscht hätte.

Wer ein wenig näher an die tatsächliche Erfahrung heran will, dem sei an dieser Stelle abschließend die "Berliner Trilogie" von Aras Ören empfohlen (Verbrecher Verlag), deren erster Band 1973 erschien und sehr eindringlich beschreibt, wie es sich anfühlt als türkischer Gastarbeiter in Kreuzberg zu leben. Seine Geschichte beginnt so:

"Es schneit in Berlin.
Die Temperatur ist 3 Grad unter Null.
Die Naunynstraße ist zugefroren.
Ihre Häuser sind fertig zum Aufwachen.

Niyazi Gümüşkiliç aus der Naunynstraße
geht mit schnellen Schritten,
wie Mitte September,
zum Blaufischfang in der Bucht von Bebek
geht er spät, mit schnellen Schritten,
den Kopf tief zwischen den Schultern,
zur Nachtschicht.

In die Fabrik an die weißglühenden Öfen geht er,
Aluminium schmelzen,
den Schrott im Ofen schmelzen.
Warm wird von seiner Arbeit denen,
die ihre Villen
im Südwesten der Stadt bewohnen.
So geht Niyazi Gümüşkiliç mit schnellen Schritten."

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