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Bild zu Flore Maquin: Ein ganzer Film in einem Bild

Flore Maquin: Ein ganzer Film in einem Bild

Spätestens mit ihrem Artwork für Léon - Der Profi hat die Künstlerin Flore Maquin unser Herz erobert. Wir sprachen mit ihr über Filme, Farben, Inspiration und die tiefe Liebe für all die starken Charaktere, die uns das Kino immer wieder schenkt.

Persönliches/Gespräche 03. Januar 2020

Die französische Grafikdesignerin und Künstlerin Flore Maquin hat ihre Leidenschaft für das Kino zum Beruf gemacht. Ihre digital gemalten alternativen Filmposter finden sich inzwischen zum Beispiel auf dem Cover dieses Magazins, auf der Limited 25th Anniversary Edition von Léon – Der Profi – oder als 24 Meter breites offizielles Plakat bei den Festspielen in Cannes.

Deine wohl bekannteste Arbeit ist das Plakat für die Internationalen Filmfestspiele in Cannes im letzten Jahr. Du hast dafür ein Bild aus Godards Elf Uhr nachts illustriert, ein Kuss zwischen Jean-Paul Belmondo und Anna Karina. Warum dieser Film und dieser Kuss?
Ich wollte auf diesem Poster etwas Farbenfrohes, Sonniges, Helles zeigen. Ich habe Hunderte Fotografien durchgeschaut und landete immer wieder bei Bildern aus Elf Uhr nachts. Die Farben in dem Film sind wunderschön. Außerdem wusste ich am Anfang meiner Recherche, dass ich unbedingt Anna Karina zeigen wollte. Dieses Bild hatte einfach so viel Potenzial! Es bringt alles zusammen, was ich mag: zwei ikonische Schauspieler, wundervolle Farben und diese spürbare Liebe. Es zeigt die Liebe zum Kino ebenso wie die Liebe, die uns das Kino immer wieder zeigt. Das wollte ich mit meinem Poster wertschätzen. Ich wollte diesem Foto, das George Pierre 1965 geschossen hat, in Cannes zu einem zweiten Frühling verhelfen.

Wie fühlte es sich an, die eigene Arbeit schließlich zwölf Meter hoch und 24 Meter breit an einem der wichtigsten Orte der Stadt zu sehen?
Unbeschreiblich. Für das Festival in Cannes zu arbeiten, war ein Traum, den ich schon als junges Mädchen hatte. Ich hätte niemals geglaubt, dass ich das mal erleben werde. Und dann ist es ja gleich zweimal passiert. In diesem Jahr war ich auch wieder beteiligt. Ironischerweise war ich beim zweiten Mal fast nervöser. Ich habe mich eine Stunde lang in die Nähe gesetzt und die Menschen beobachtet. Viele haben Fotos von sich vor meinem Bild gemacht. An ihren positiven Reaktionen habe ich schließlich gemerkt, dass ich eine gute Arbeit abgeliefert haben muss. Das Poster kam sehr gut an – und das ist eine große Ehre für mich.

Lass uns mal ein wenig in die Vergangenheit blicken: All deine Arbeiten zeigen sehr deutlich, dass Filme, Serien, Kino und Fernsehen einen großen Platz in deinem Herzen haben. Was ist die erste Begegnung mit dieser Welt, die dir in den Sinn kommt, wenn du zurückdenkst?
Titanic. Ganz klar. Ich habe ihn damals im Kino gesehen. Ich glaube nicht, dass es mein erster Kinobesuch war, aber ich war einfach so beeindruckt von dem Film, dass er mich nicht losgelassen hat. Ich erinnere mich noch, wie ich danach ein Buch über Titanic gekauft habe: Das war so eine Art Making of mit ganz vielen Hintergrundinformationen und wunderschönen Fotos. Ich habe es 1998 gekauft und immer noch zu Hause.

Welche Filmposter haben dich denn so beeindruckt oder vielleicht gar auch enttäuscht, dass du unbedingt eigene machen wolltest?
Mein Bruder und ich haben immer gemeinsam Filme geschaut und analysiert. Seit wir klein sind. Wir sprachen über Poster, Trailer, alles. Es waren also gar nicht unbedingt die Poster, die mich dazu brachten, sondern die Filme, die mich begeistert haben. Wenn ich einen guten Film sehe, der mich anspricht, kommt mir eine Idee, wie ich ein Plakat dazu angehen würde – und dann habe ich das Bedürfnis, das auch umzusetzen. Aber ich bin natürlich sehr aufmerksam, was Poster angeht. Sehr gelungen fand ich zum Beispiel Alien, Jurassic Park oder Grand Budapest Hotel. Ich mag es, wenn sie eine konkrete, originelle Idee verfolgen. Das Ei von Alien sagt uns alles, was wir wissen müssen: Ein Ei, das für das Unbekannte und das Monströse steht, ein Grün, das an Gift, Tod
und Misstrauen denken lässt und darum die unendliche Schwärze des Alls. Gleiches gilt für Jurassic Park: Das Logo sagt doch alles. Es ist ein Vergnügungspark mit Dinosauriern – was wird wohl passieren? Und bei Grand Budapest Hotel liebe ich es, dass man so einen namhaften Cast hat und dann nur das Hotel zeigt. Das ist großartig! Ach ja, das Scream-Poster war auch so ein Highlight! Der Farbcode, das Close-up-Portrait und die Tatsache, dass es Drew Barrymores Gesicht ist. Nimm ein bekanntes Gesicht, pack es auf das Poster und lass alle wissen, dass die Person am Anfang des Films sterben wird. Genial.

Was liebst du so am Kino-Erlebnis?
Diese Vorstellungskraft. Kino ist eine Kunstform, die in sehr vielen sehr unterschiedlichen Menschen Emotionen auslösen kann. Schmerz, Freude, Aufregung. Jeder wird zumindest einmal von einem Film berührt sein. Dass diese Filme allein aus der Vorstellungskraft und Phantasie der Menschen entstehen, fasziniert mich. All diese Welten, erschaffen nur durch Kreativität und unglaubliches Talent!

Mia aus Pulp Fiction zum Beispiel ist ein sehr starker Charakter – und Uma Thurman natürlich eine fantastische Schauspielerin. Warum hast du sie ausgewählt für dein Bild?
Ich liebe sie einfach sehr: Ihren Style. Ihren Look. Ihre Persönlichkeit. Meine Wahl ist da oft eher intuitiv. Für mich ist sie ein wenig die Schlüsselfigur in Pulp Fiction. Und Uma Thurman ist als Mia so wunderschön!

Lass uns doch kurz bei diesem Bild bleiben, damit unsere Leser*innen ein wenig genauer erfahren, wie du arbeitest: Wie entscheidest du, welchen Charakter, welche Farben und welche Perspektive du nimmst?
Meistens will ich so nah am Film bleiben, wie es geht. Obwohl mein Style sehr farbenfroh und vielleicht ein wenig retro ist, möchte ich mich nicht in den Vordergrund drängen. Ich will, dass die Leute die Story des Films aus diesem einen Bild herauslesen können. Dafür brauche ich eine Idee. Ich habe keinen Spaß daran, einfach ein Foto zu reproduzieren. Ich will eine Geschichte erzählen. Mein Catwoman-Poster für Tim Burtons Batman ist da ein gutes Beispiel: Ich wollte nicht bloß Michelle Pfeifer als Catwoman zeigen. Ich wollte ihre Persönlichkeit herausarbeiten, die Vorher-Nachher-Situation, die sie im Film durchlebt. Deshalb sieht man darauf eine Flasche Milch mit einem Portrait von ihr und dem „Missing“-Schild. Wenn du nach der alten Selina Kyle suchst, wirst du sie nicht finden. Das ist die Message.

Wie darf man sich denn dieses Zuhause damals vorstellen? Hattest du Kate und Leo als Poster an der Wand?
Ah, ich sehe, worauf du hinauswillst. Kate und Leo hatten einen großen Platz in meinem Herzen, aber mein Zimmer war sehr dezent dekoriert. Erschreckenderweise hatte ich dort keine Kinoplakate hängen. Es gab aber ein Poster mit einer Parfumwerbung – eine sehr schick angezogene Frau vor dem Eiffelturm. Und jetzt rate mal, mit welcher Technik dieses Bild gemalt wurde? Digital Painting natürlich – so, wie ich auch arbeite. Vielleicht ist das also die Brücke in die Jetztzeit, auf die du hinauswolltest.

Man kann ja schon sagen, dass du es geschafft hast, deine persönliche Leidenschaft zum Beruf zu machen. Bevor das aufging, hast du allerdings einen Tourismus-Studiengang besucht und in der Branche gearbeitet. Was ist passiert, dass du von dort in die Filmkunst wechseln konntest?
Während des Studiums habe ich Grafikdesign für mich entdeckt. Wir sollten Flyer für diverse Rundreisen erstellen. Mich hat das Design der Flyer dann mehr interessiert als die eigentlichen Reisen. Ich habe erst nur mit einem Textprogramm gearbeitet und nach und nach gelernt, bessere Software zu verwenden. Nach meinem Abschluss wollte ich Kommunikationsdesign studieren. Da ich an öffentlichen Schulen mit meinem Tourismusabschluss nicht genommen wurde, besuchte ich eine private Uni, an der ich schließlich mein Wissen und Handwerk über Grafikdesign auf ein neues Level heben konnte. Ich habe anfangs nie darüber nachgedacht, in der Filmbranche zu arbeiten, weil sie so unerreichbar schien. Nach einem Diplom habe ich dann aber eine Trainee-Stelle als Grafikdesignerin eines französischen Filminstituts bekommen und mich langsam hochgearbeitet. Die Poster waren in der ganzen Zeit eher mein Hobby. Ich habe sie für mich gemacht und über Instagram und meine eigene Website geteilt. Bis ich eines Morgens im Juni 2015 aufwachte und einen Haufen Artikel über mich fand, weil eine große Zeitung meine Poster gefunden hatte. Damit begann mein Abenteuer in der Filmwelt, weil danach immer mehr Leute meine Poster teilten und ich auf einmal eine riesige Sichtbarkeit im Netz hatte, die mir sozusagen meinen jetzigen Job ermöglichte.

Psssst....!

Psssst....!

Du arbeitest ja digital: Wie schafft du es rein technisch eigentlich immer, ein Szenenbild so detailliert zu extrahieren und daraus diese tollen Digital Paintings zu machen?
Ich schaue mir sehr viele Fotos an, bevor ich finde, was ich gesucht habe. Auch hier kann ich dir das vielleicht am besten mit einem Beispiel erklären: Für mein Es-Poster wollte ich, dass Pennywise aus einem roten Vorhang schaut und das „Pssst!“-Zeichen macht. Ich musste also ein Foto finden, dass meiner Wunschperspektive am nächsten kommt. Dann habe ich alles umdesignt, wie ich es brauchte und am Ende den Vorhang und seine Hand hinzugefügt. Meine Idee steht meistens schon vor meiner Bildrecherche fest – deshalb weiß ich recht genau, was ich brauche.

Ich hatte erst kürzlich eine Arbeit von dir in der Hand: Die Steelbox zur Jubiläumsedition von Léon – Der Profi ist mit deinem Postermotiv bedruckt. Was liebst du an dem Film?
Die Story, die Kameraführung, die Atmosphäre, den Cast. Ein sehr guter Film mit tollen Schauspielerinnen und Schauspielern. Als ich das Poster machte, war ich fasziniert von Natalie Portmans engelsgleicher Erscheinung, die ein krasser Kontrast zu den Schrecken ist, die sie im Film durchleben muss. Ebenso wie die Sanftmütigkeit von Léon, die man einem Auftragskiller nicht zutraut.

Es gibt ja seit Jahren die Diskussion, ob das Streaming die Kinokultur killt – und damit die Produktion von Filmen, die man auf großer Leinwand sehen muss. Ich bin mir da selbst nicht so sicher. Klar, viele Kinos haben zu kämpfen und es gibt viel mehr zum Streamen als Lebenszeit zur Verfügung steht, aber irgendwie hat uns das doch auch zahllose mutige, groß erzählte Serien und The Irishman eingebracht. Kann also nicht alles schlecht sein. Wie siehst du diese Entwicklung?
Ich liebe den Gang ins Kino ebenso wie den Filmeabend zu Hause. Ich habe Netflix – und entdecke da vieles, das mir gefällt. Aber das wird mich niemals daran hindern, weiterhin regelmäßig ins Kino zu gehen. Nichts kann die Schönheit einer großen Leinwand ersetzen. Ich würde die Entwicklung des Kinos niemals dieser Plattform anlasten. Die Kinos, wie wir sie kennen, werden sich weiterentwickeln müssen. So ist das Leben. Das ist Evolution, kein Tod. Für mich ist es eine Sache der Stimmung, ob ich mich für den Fernseher oder das Kino entscheide. Mal will ich mich zurückziehen, mal mit anderen Menschen im Dunkeln begeistert werden.

Was sind eigentlich deine, sagen wir: drei Lieblingsfilme aller Zeiten?
Ace Ventura. Die Maske. Stirb langsam. Du siehst, ich bin ein 90s-Kid!

Und welcher hat dich in jüngster Vergangenheit gekickt?
Rocketman! Ich hatte das Glück, ihn in Cannes sehen zu können. Ich liebe alles an diesem Film: die Ästhetik, den Cast – und diese Kostüme!

Hast du einen Lieblingsfilm, den du als Guilty Pleasure bezeichnen würdest?
Oh ja. Versprochen ist versprochen mit Arnold Schwarzenegger. Den schaue ich jedes Jahr zu Weihnachten.

Deine Poster und die Art, wie du arbeitest, erinnern mich sehr an eine Tradition, die ich aus der Livemusik kenne: Da gibt es viele Künstler*innen, die exklusive, alternative Konzertposter anfertigen, die sehr erhellende Blicke auf eine Band ermöglichen. Hast du jemals darüber nachgedacht, deine Magie auch vermehrt an Motiven aus anderen kulturellen Spielfeldern anzuwenden?
Klar. Ich habe sogar schon mal ein Artwork für den DJ Steve Aoki gemacht. Außerdem stammen die 2018er und 2019er-Poster des Nikon Film Festivals von mir, ich konnte ein Cover des Hollywood Reporters gestalten, habe Spielerportraits für das ESPN Magazin gemacht und war kürzlich Art Direktorin einer französischen TV-Show. Ich liebe es, auf anderen Spielfeldern zu arbeiten – obwohl das Kino mein liebstes bleibt.

Flore, vielen Dank, dass du dir die Zeit für unsere Fragen genommen hast. Eine letzte hätte ich aber noch: Wer könnte dich jederzeit anrufen, um dir einen Job anzubieten?
Quentin Tarantino, wenn du das liest: Ruf mich an!

Die Grafikdesignerin und Künstlerin lebt in Lyon und hat es mit Ende zwanzig geschafft, einige der namhaftesten Firmen der Film- und Medienwelt in ihren Kundenkreis zu holen. Türöffner waren jedoch ihre Filmposter, die sie anfangs nur für sich und ihre Website als Digital Paintings anfertigte.
Als im Sommer 2015 eine große internationale Zeitung über ihre Bilder berichtete, nahm die Sache dann so richtig Fahrt auf. Ihre Arbeiten finden
Sie auf www.flore-maquin.com

DK

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