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Kennen sie den schon? Champagne von Alfred Hitchcock

Passiert ja auch nicht alle Tage, dass wir in dieser Rubrik mal den vielleicht berühmtesten Regisseur aller Zeiten featuren – aber Hitchcocks Stummfilm-Komödie Champagne kennen tatsächlich viele noch nicht. Was Hitchcock vielleicht sogar ganz recht wäre …

06. Mai 2025

Zwei Zitate umreißen sehr gut, wie es um den cineastischen Wert des Films Champagne aus dem Jahr 1928 steht. Der über alle Zweifel erhabene Regisseur François Truffaut sagte über den Stummfilm: "Ich habe mich sehr amüsiert, als ich ihn gesehen habe." Die Komödie sei "sehr lebendig". Truffaut sagte das dem Urheber des Films, Alfred Hitchcock, bei seinem mehrstündigen Interview im Jahr 1962, das in Buchform als "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" zum Bestseller werden sollte. Hitchcock konnte mit diesem Kompliment jedoch nichts anfangen. Er sagte über Champagne: "Das ist wahrscheinlich der absolute Tiefpunkt meiner Karriere."

Champagne war nach The Farmer's Wife die zweite Komödie in Alfred Hitchcocks Filmographie als Regisseur, und so richtig Lust hatte er nie auf den Stoff gehabt. Als er mit Truffaut sprach, sagte er außerdem, Champagne habe keine Geschichte zu erzählen. Was man durchaus als Spitze gegen den Urheber Walter C. Mycroft verstehen konnte – ein Filmkritiker, der zum Drehbuch- und Romanautor geworden war. Wobei Mycroft immerhin später noch u. a. das Drehbuch zu Mord – Sir John greift ein! schreiben durfte.

In Champagne geht es um die nicht ganz glückliche Beziehung einer reichen Unternehmers-Tochter, die von Betty Balfour gespielt wurde. Balfour wurde in den britischen Medien immer wieder mal als "Britains Queen Of Happiness" bezeichnet und man braucht keine fünf Minuten des Films zu sehen, um zu wissen, warum das so ist. Betty – die stets nur als "The Girl" bezeichnet wird – ist die Tochter eines Champagner-Moguls, was auch den Titel des Films erklärt. Gleich zu Beginn sehen wir, dass sie ihren eigenen Kopf hat: Sie klaut das Wasserflugzeug ihres Vaters und fliegt damit ihrem Boyfriend – Jean Bradin als "The Boy" – hinterher. Der überquert gerade auf einem edlen Ozeandampfer den Atlantik. Betty landet neben dem Schiff und lässt sich an Bord holen – ein Spektakel, das sogar kurz den abendlichen Ball sprengt, weil alle Passagiere nach draußen rennen, um zu sehen, was da los ist. Wie Betty mit schmutzigen Wangen, strahlenden Augen und Pilotenbrille im Haar an Bord geht – das allein ist ganz großes Kino und vermutlich ein Grund, warum Truffaut den Film "lebendig" fand.

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Aber die Beziehung der beiden wird immer wieder sabotiert, auf Eis gelegt, zerrüttet oder für eine Weile beendet. Das liegt am Temperament der beiden, an Bettys Dickkopf, an Jeans Mäkelei, an kleinen und großen Missverständnissen – aber auch an der Einflussnahme ihres Vaters Mark (gespielt von Gordon Harker) und einem mysteriösen Mann, der immer wieder entscheidende Handlungen auslöst (Ferdinand von Alten).

Zwischendurch verliert Betty sogar ihr ganzes Vermögen und muss sich einen "gewöhnlichen" Job suchen. Am Ende des wirklich amüsant plätschernden Films lernen wir, dass Bettys Vater und der Mystery Man gemeinsame Sache machten. Er habe eigentlich nur auf Betty aufpassen sollen – und vielleicht auch die Beziehung der beiden sabotieren, da ihr Vater wenig von Jean hielt. Am Ende des Films ändert sich aber auch das.

Die Kritiken zu Champagne waren schon damals eher durchwachsen. Die Filminstanz "Variety" meinte wenig schmeichelnd: "Technisch gesehen – Einstellungen, Fotografie und Beleuchtung – ist der Film sehr gelungen und auf der Höhe der Zeit. Aber die Geschichte, die Regie und die schauspielerischen Leistungen sind miserabel. Betty Balfour hat eine undankbare Rolle und viel zu viele Nahaufnahmen. Als New Yorker Geschäftsmann ist Gordon Harker eine wilde Karikatur eines Sinclair-Lewis-Komplexes. Von Alten sieht gut aus und spielt ruhig und gut, hat aber eine alberne Rolle. Der Champagner ist von der Sorte, die man in Soho an Tussis verkauft." Autsch.

Aber auch das muss man sagen: Nicht nur Hitchocks technische Genialität ist sichtbar, sondern hin und wieder auch sein unverhohlener Sexismus. © STUDIOCANAL

Aber auch das muss man sagen: Nicht nur Hitchocks technische Genialität ist sichtbar, sondern hin und wieder auch sein unverhohlener Sexismus. © STUDIOCANAL

Trotzdem lohnt es sich, Champagne von Alfred Hitchcock noch einmal zu schauen. Was auch der Grund ist, warum ARTHAUS ihn und viele weitere Filme aus Alfred Hitchocks Frühphase gerade noch einmal neu aufgelegt hat. Ähnlich, wie wir schon in dem Artikel "Was uns Erpressung von Alfred Hitchcock über sein Handwerk lehrt" erklärt haben, kann man auch in Champagne auf die Suche nach den ersten Anzeichen von Hitchocks Genialität gehen. Was der Handlung an sprühenden Ideen fehlt, mischt Hitchcock mit technischen Spielereien auf – vermutlich auch, weil er sonst auf dem Regiestuhl eingeschlafen wäre.

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Geradezu legendär ist zum Beispiel ein Trickshot durch ein Champagner-Glass, in dem man kurz das gesamte Treiben eines üppigen Festakts sehen kann. Hitchcock bestellte dafür eine Spezialanfertigung bei einer Glasmanufaktur und musste zahlreiche Nörgler abwimmeln, die ihm einreden wollten, dass so eine Aufnahme gar nicht möglich sei. Kameramann Alfred Room erinnerte sich später so daran: "Ich war derjenige, der durch den Boden des Glases filmen musste. Hitch hatte es speziell von einem Glashersteller anfertigen lassen, der eine Linse in den Boden des riesigen Champagnerglases einbaute, damit wir hindurchsehen und ein klares Bild von dem bekommen konnten, was am anderen Ende des Raumes geschah. Wir alle sagten, dass das nicht funktionieren würde. Das sagten die meisten Leute über Hitchs Ideen, aber sie funktionierten fast immer."

Alfred Hitchock etablierte in Champagne außerdem den "Freeze Frame"-Effekt. Ungefähr in der 57. Minute des Films sehen wir Betty, wie sie von besseren Zeiten träumt. Es ist die Phase des Films, in der sie ihr Vermögen verloren hat und einen Job sucht. Wir sehen die Tanzfläche eines Balls auf einem Ozeandampfer und fühlen uns nicht umsonst an die ersten Minuten von Champagne erinnert. Irgendwann halten die Tanzenden abrupt an, das Bild friert ein, die Kamera zoomt zurück – und Hitchcock zeigt, wie Betty vor einem Fotogeschäft steht, in dessen Schaufenster eine gerahmte Fotografie von diesem Ball zu sehen ist.

So hat Champagne also doch ein Stückweit Kinogeschichte geschrieben – wenn auch nicht unbedingt so, wie es der Drehbuchautor oder die Hauptdarsteller*innen geplant hatten.

Chamapagne, viele weitere frühe Filme, die Box Alfred Hitchock – Die frühen Filme und die Doku Becoming Hitchcock gibt es ab sofort hier im Sortiment von ARTHAUS.

Daniel Koch

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