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Die Dritte Generation: Denn sie wussten nicht, was sie tun

Fassbinders Blick auf die deutschen Terroristen Ende der 1970er. Schrill, aber nicht nur lustig gemeint. Jetzt erstmals auf Blu-ray.

Filmgeschichten/Drehmomente 12. Februar 2019

Es kann passieren, dass in einem fiktionalen Werk Ereignisse der realen Zukunft vorweg genommen werden. Nun musste man zur Jahreswende 1978/79 kein Prophet gewesen sein, um ihr Kommen voraus zu ahnen, allerdings existierte Die Dritte Generation der Rote Armee Fraktion (RAF) damals nur in Rainer Werner Fassbinders gleichnamigem Spielfilm.

Heute spricht man von dieser Generation, wenn es um Anschläge in den 1980er Jahren geht. Doch haben weder diese Aktionen noch die weiter flüchtigen "RAF-Rentner" etwas mit Fassbinders Film zu tun. Der hatte wiederum auch gar kein Interesse daran, als Hellseher zu erscheinen. Es ging ihm vielmehr um die Gegenwart der 1970er-Jahre, als er sich "spielerisch" an das akute Thema Terrorismus heranwagte. Und zwar in der Tradition von Filmen wie Viscontis Leidenschaft und Gewalt oder Im Zeichen des Bösen von Orson Welles. Im Kino kannte sich Fassbinder eben besser aus als in blutrünstigen Manifesten.

Die Erregung um das öffentliche Ärgernis

In echt galt die RAF zur Zeit der Entstehung des Films als so gut wie erledigt. Der Medienhype um die Zweite Generation der "Stadtguerilla", die nach dem Deutschen Herbst 1977 mit ihrem Revolutionslatein praktisch am Ende war, spielt in die Anfangssequenzen von Fassbinders "Komödie in 6 Teilen" hinein. Diese Komödie drehe sich "um Gesellschaftsspiele voll Spannung, Erregung und Logik, Grausamkeit und Wahnsinn", heißt es da ironisch-reißerisch, "ähnlich den Märchen, die man Kindern erzählt..." Dazu pocht ein hypnotischer Krautbeat aus der Tonwerkstatt von Peer Raben.

Eine gewisse Nähe zum Theater ist Fassbinders Filminszenierungen ja stets zu eigen, doch das folgende, schrille RWF-meets-RAF-Drama bot nicht nur den Schauspierinnen und Schauspielern Raum zur Entfaltung – auch ihres komischen Talents. Inhaltlich stand Die Dritte Generation divenhaft über allen laufenden öffentlichen Diskussionen zwischen Bild-Zeitung, Der Spiegel, politischen sowie intellektuellen Kreisen. Eine mögliche Lesart des Tohubawohu liefert schon zu Beginn ein Traum des Polizeikommissars (Hark Bohm): Was wäre, wenn die Kapitalisten mit den Terroristen unter einer Decke steckten, damit der Staat sie besser schütze? Das Leben als Farce? Und das Kino als Mittel der Wahrheitsfindung?

Udo Kier hat die Haare schön – und lauter Flausen im Kopf

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Der Unternehmer P.J. Lurz (Eddie Constantine) kann darüber nur lachen. Zwar ist er nicht dumm, er hat jedoch tatsächlich ein konkretes geschäftliches Interesse an der Jagd auf die Radikalinskis. Werben möchte Lurz – und zwar für die neuesten Computermodelle, die beim Volk im Zusammenhang mit neuesten Überwachungs- und Fahndungstechniken gerade nicht so hoch angesehen sind. Die allgemeine Sensibilisierung für Datenschutz war offenbar noch um einiges stärker als heutzutage, wo ständig drüber geredet aber kaum noch eine Information geschützt wird.

Lurz’ finale Entführung durch ein Kommando von Kidnappern in Faschingskostümen erinnert wiederum an die Entführung des Hanns Martin Schleyer im Jahr 1977. Wobei diese ganz gewiss kein Spaß war. Nicht nur seine Begleiter starben auf der Stelle, der damalige Arbeitgeberpräsident wurde nach wochenlanger Geiselhaft von der RAF ermordet. Wenigstens das wäre wohl zu verhindern gewesen, Bundeskanzler Helmut Schmidt, der keinen Gefangenenaustausch zuließ, wird in Die Dritte Generation allerdings so zitiert, als wäre er über die Leichen von Freund und Feind gegangen. Überhaupt spielen im Hintergrund gesprochene Texte – der Spuk der herrschenden Diskurse? – eine große Rolle im Film. Sogar der vom Attentat auf ihn gezeichnete Rudi Dutschke erscheint als Geist der 1968er-Bewegung in einer Flimmerkiste.

Bei aller Tragik der wahren Ereignisse und trotz der grotesken Überzeichnungen durch Fassbinder – so muss der Afrodeutsche Franz Walsch (Günther Kaufmann) einen Bankraub in Blackface begehen, von den Killerclowns am Ende ganz zu schweigen – traf der Regisseur und Autor mit Die Dritte Generation einen wunden Punkt. Weil er nämlich die wahnwitzigen Wendungen des danals beliebten Geselschaftsspiels "Gewalt erzeugt Gegengewalt" zeigte. Eine Gewaltspirale, wenn man so will, deren Anfang und Ende ebenso wenig auszumachen sind wie die Schuldigen daran, dass sie sich immer weiterdreht.

Margit Carstensen, Günther Kaufmann: Schräg geschminkte Verhältnisse

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Mit dabei sind viele Darsteller aus dem engstem Kreis, wie Hanna Schygulla als undurchsichtige Schöne, Margit Carstensen als Rächerin in eigener Sache oder Volker Spengler als Agent provocateur. Außerdem spielt Udo Kier den Komponisten Edgar Gast, Y Sa Lo die Heroinabhängige WG-Bewohnerin Ilse, Bulle Ogier die eiskalte Hilde und Vitus Zeplichal den belesenen Deserteur Bernhard. Fassbinders Ensemble ist heute dafür berüchtigt, sich mit Haut und Haar seiner Sache verschrieben zu haben – beinahe wie die einstigen Großstadtkrieger. Das spürt man in jeder noch so irren Szene.

Berüchtigt ist auch Fassbinders Kommentar zur persönlichen Motivation hinter Die Dritte Generation: "Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme." Wenn man sich diesen speziellen Film heute anschaut und sich ein wenig mit den wahren Hintergründen beschäftigt, kann man wohl annehmen, dass er damals eingeschlagen haben muss wie eine, naja, Bombe. Und die damaligen Kritiken bestätigen den Eindruck. "Einer der erschreckendsten politischen Filme, die wir jemals von jenseits des Rheins zu sehen bekommen haben", hieß es im französischen Le Figaro. Jede Zeit bekommt die Filme, die sie verdient.

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WF

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