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Once upon a time in Hollywood...die (fast) märchenhafte Entstehung von Reservoir Dogs

Reservoir Dogs machte den nerdigen Drehbuchautoren und Hollywood-Jobber Quentin Tarantino 1992 zum neuen Regie-Hot-Shot. Wir schauen auf die prägenden Tage in seinem Leben, die zum Drehbuch von Reservoir Dogs führten – und lernen dabei, dass Dolph Lundgren und die Golden Girls einen kleinen Anteil an der Entstehung des Kultfilms hatten.

08. Dezember 2025

"Es war einmal eine Stadt mit dem Namen Manhattan Beach. In dieser Stadt gab es eine Videothek. In dieser Videothek gab es einen Jungen. Dieser Junge arbeitete dort. Den ganzen lieben langen Tag schaute er sich Filme an. Und träumte davon, eines Tages selbst Filme machen zu können. Dies ist die Geschichte des Jungen." Mit diesen (im Originalclip englischen) Zeilen beginnt ein Featurette zu Reservoir Dogs. Ein kurzes Interview mit Tarantino, aufgenommen wenige Jahre nach seinem Durchbruch. Diese Sätze werden vor dem Interview eingeblendet, mit einer trashigen Typo, die wie eine schöne Handschrift aussehen soll, einem blauen Himmel als Hintergrund und einem Instrumental, wie man es aus billigen TV-Märchen kennt.

Das Ganze ist ein kleiner Joke – aber durchaus hintersinnig. Denn natürlich begann Quentin Tarantinos Karriere wie in einem Hollywood-Märchen. Eines, das man sich in den Bars erzählt, in denen die Extras ihren Feierabend-Drink nehmen - nach einem langen Drehtag, der wieder ohne Sprechrolle endete. Oder eines, dass sich die Produktions-Assistenten in den Drehpausen erzählen, während sie ihren Kaffee trinken und über die Allüren der Schauspieler lästern, die sie betreuen müssen. Tarantino ist daran alles andere als unschuldig: Man weiß ja inzwischen, dass er ein grandioser Storyteller ist. Und wenn man sich die zahlreichen Interviews durchliest oder anschaut, die Tarantino damals gegeben hat, dann merkt man schnell: Er wusste auch da schon, welche Geschichte er erzählen will. Oder besser: Wie er seine Geschichte erzählen will. Als märchenhafte Erzählung vom Underdog, vom Film-Nerd, vom wahren Fan – der es aus der Hollywood-Peripherie ins Herz der Filmwelt geschafft hat.

Quentin Tarantino bei den Dreharbeiten © STUDIOCANAL

Quentin Tarantino bei den Dreharbeiten © STUDIOCANAL

Diese Story klingt ein wenig wie eine Tarantino-Fingerübung. Denn auch sie ist voller Referenzen und Pointen, die man sich kaum besser hätte ausdenken können. Nehmen wir zum Beispiel die erste Produktion, bei der Tarantino in den Credits auftaucht. Neben seinem inzwischen mythologisierten Job in der Videothek "Video Archives", wo er sechs Jahre lang für ungefähr 200 Dollar die Woche arbeitete, versuchte Tarantino schon länger in Hollywood Fuß zu fassen. Manhattan Beach liegt direkt am Pazifik im Los Angeles County, gut 40 Autominuten von Hollywood entfernt. Tarantino strebte immer wieder in diese Richtung, versuchte es mit Produktionsjobs und dem, was er in Interviews gerne "eine verdammt erfolglose Schauspielerkarriere" nannte.

Sein erster Job als Produktions-Assistent, der ihn in die Credits brachte, war ein Drei-Minuten-Clip, der den Namen "Dolph Lundgren – Maximum Potential" trägt. Ein trashiges Trainings-Video mit einem perfekt geföhnten Action-Helden, der am Anfang in die Kamera raunt: "Hm, nature. It’s really amazing." So "amazing" fand Lundgren einige Dinge in dieser Natur allerdings nicht. Damit seine Trainingsschuhe auf dem Weg vom Parkplatz zum Drehort nicht schmutzig wurden, ließ er einen Produktions-Assistenten jeglichen Müll und meistens auch einige Haufen Hundescheiße entfernen. Das war Tarantinos Job.

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"Dankt den Golden Girls für Reservoir Dogs!" (Jimmy Fallon)

Ein kleiner Sprung in die Zukunft, mitten in diese "erfolglose Schauspielerkarriere". So sprach Tarantino 2020 auf dem Sofa der "Tonight Show" von Jimmy Fallon darüber und sagte: "Einer der seltenen Jobs, die ich ergattern konnte – und zwar nicht durch ein wundervolles Vorsprechen, sondern einfach, weil man mein Foto geschickt hatte und dort jemand sagte: ‚Den Typ nehmen wir!" – war als Elvis Double in einer Folge der Golden Girls" Tarantino hatte, wie er ebenfalls erzählt, in den 80ern eine Elvis- und Rockabilly-Phase und sei sogar zum gleichen Friseur gegangen wie Rockabilly-Star Brian Setzer. Tarantino ist eines von einem guten Dutzend Elvis-Doubles, die in der Doppelfolge "Sophia’s Wedding" zum Einsatz kommen.

Aber: Der Assi-Job für Dolph Lundgren und die stetig hereinkommenden "Residuals" – Zahlungen an die Schauspieler:innen, die bei Wiederholungen ausgeschüttet werden – gaben Tarantino zum ersten Mal in seinem Leben ein klein wenig Sicherheit, damit er weniger jobben und mehr schreiben konnte. Die Golden Girls-Folge war so beliebt, dass sie später in einem Best-of gezeigt wurde – was ebenfalls kleine Zahlungen für Tarantino bedeutete. "Ich bekam so ca. 650 Dollar für die eigentliche Folge", erzählt Tarantino bei Fallon, "aber zu der Zeit, als die Residuals durch waren, gut drei Jahre später, hatte ich daran 3000 Dollar verdient." Für Tarantino, der bis zum Ende seiner Zwanziger das war, was er ein "minimum wage kid" nannte, war das ein Haufen Geld. "Es hielt mich in der Pre-Production-Phase von Reservoir Dogs über Wasser."

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"Ich will keine verfickten Reservoir Dogs sehen!" (erzürnter Kunde im "Video Archives")

Der prägendste Job für Tarantino blieb aber die Zeit im "Video Archives". Eine typische, großflächige Videothek mit geräumigem Parkplatz und der Adresse N 1822 Sepulveda Blvd in Manhatten Beach. Hier wird das Märchen gerne mal falsch erzählt: In vielen Texten liest man, diese Jahre seien Tarantinos Lehrjahre in Sachen Filmgeschichte gewesen. Aber, das betont Tarantino immer wieder: Vielmehr sei es so gewesen, dass er vom Besitzer gefragt wurde, ob er dort arbeiten wolle, weil er schon damals als Nerd galt, der sich in der Filmgeschichte bestens auskannte und dabei einen sehr eigenen Geschmack bewies. "Er fragte mich 1985, ob ich bei ihm arbeiten wollte und wusste nicht, dass er mir damit das Leben rettete." Tarantino fand dort Inspiration, Freunde mit gleichen Interessen und einen wichtigen Wegbegleiter: Roger Avary. Mit ihm schrieb er später das Drehbuch zu Pulp Fiction, für das es bekanntlich einen Oscar geben sollte und er produzierte Avarys Film Killing Zoe.

Nachdem die beiden aufgrund von Streitereien um "Pulp Fiction" ein paar Jahre getrennte Wege gegangen sind, machen sie zusammen mit Avarys Tochter Gala seit diesem Jahr den tollen Podcast "Video Archives". Dabei leihen sich Tarantino und Avary aus dem Bestand der Videothek, in der sie einst arbeiteten, Filme auf VHS-Kassetten aus und sprechen drüber. Dazu muss man wissen: Tarantino kaufte diesen Bestand, als "Video Archives" 1995 schließen musste – und hat die Videothek quasi in seinem eigenen Haus nachgebaut.

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Während seiner Zeit im "Video Archives" unternahm Tarantino außerdem erste kleine Schritte in die Hollywood-Peripherie. Er besuchte 1986 eine Schauspiel-Klasse im "Actor’s Shelter" von Allen Garfield. Mit Hilfe eines Fake-Lebenslauf kamen ein paar eher mickrige Rollen dabei rum. Tarantino hatte in seinem Portfolio eine Rolle in Jean-Luc Godards King Lear-Adaption gelistet, weil er glaubte, dass kein Amerikaner diesen Film kennen würde. Außerdem nannte Tarantino George A. Romeros Dawn Of The Dead, weil es darin einen Biker gab, der ein wenig wie Tarantino aussah.

Trotzdem merkte Tarantino schnell, dass ihn das Schreiben von Drehbüchern und das Regie-Führen mehr reizte. Der allererste Versuch eines Films von ihm war dann sozusagen eine "Video Archives"-Produktion. Wer Tarantinos Kolleg:innen und Freund:innen aus der Zeit sehen will, findet noch heute auf YouTube gut 36 Minuten von My Friend’s Birthday, für den Tarantino innerhalb der "Video Archives"-Gang immerhin 6.000 Dollar zusammenbekam. Der nie vollendete Film ist ein durchaus amüsanter Unfall. Tarantino spielt darin einen koksenden, zu viel redenden Radiomoderator, der gleich zu Beginn erzählt, wie er sich als Dreijähriger die Pulsadern aufschneiden wollte, und nur gerettet wurde, weil er eine Folge der Partridge Family sah.

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Die Inspiration, mit Reservoir Dogs seine ganze eigene Version eines Heist Movies zu schreiben, hat Tarantino ebenfalls "Video Archives" zu verdanken. In einem Interview mit dem britischen Filmmagazin "Empire" kurz nach Release des Films, erzählte Tarantino: "Als ich in der Videothek arbeitete, hatten wir ein Regal, das ich wie ein Filmfestival kuratierte. Jede Woche gab es ein neues Thema: die David-Carradine-Woche oder die Nicholas-Ray-Woche oder die Swashbuckler-Filme. Einmal hatte ich das Thema Heist Movies mit Filmen wie Rififi und Topkapi und Die Thomas Crown Affaire. Ich fing an, sie mit nach Hause zu nehmen und während ich dann jeden Abend mindestens einen Heist Movie sah, wurde mir klar, was für eine tolle Idee es wäre, das Genre neu anzugehen." Es sei eben eine Tatsache, dass er diese Filme liebe: "Also dachte ich mir: Dann schreibe ich eben meinen eigenen."

Im Mittelpunkt stand dabei schon ganz am Anfang die Idee, den Film nicht während des Raubs anzusetzen, sondern beim Zusammentreffen der Beteiligten unmittelbar danach. So ist dann auch der seltsam anmutende Titel Reservoir Dogs eine Hommage an Tarantinos prägende Jahre unter den Kund:innen und Kolleg:innen von "Video Archives". Diese Worte sagte nämlich ein wütender Kunde nach einer Beratung von Tarantino. Dieser wollte den Film Au revoir, les enfants von Louis Malle empfehlen, worauf der Kunde wütend und/oder scherzhaft entgegnete: "I don’t want no fucking Reservoir Dogs!" Auf die Frage, warum er den Titel für sein Regie-Debüt wählte, sagte Tarantino später in einem Interview: "Er passt einfach perfekt zu diesen Typen. Sie sind verdammte Reservoir Dogs, was auch immer das bedeuten mag."

(Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem ARTHAUS-Booklet zur restaurierten Version von Reservoir Dogs.)

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DK

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