Eigenwerbung muss nicht stinken, sie kann auch strahlen. Im Rahmen der "Cannes Classics" gab es die Premiere unserer aktuellsten 4K-Restaurierung: Zu Ehren des 60. Filmjubiläums zeigten wir Die Verachtung von Jean-Luc Godard zum ersten Mal vor einem großen Publikum. Die Kolleg*innen von "Cinema Forever" schrieben danach: "Jean-Luc Godard konnte den Film 1963 aufgrund der damals limitierten technischen Möglichkeiten nicht in solch strahlenden Farben präsentieren, wie er sich gewünscht hatte. Die Restaurierung holt dies nun passend zum 60. Geburtstag nach, Die Verachtung erstrahlt wahrlich in neuem Glanz." Das lassen wir gerne so stehen.
Eine Palme war nicht drin, aber trotzdem fiel der Name Sandra Hüller immer und immer wieder. Der Chefkritiker der L.A. Times, Justin Chang, krönte die Schauspielerin (Finsterworld, Toni Erdmann, Ich bin dein Mensch, Sisi & Ich) in einer kulturjournalistischen Hymne zur "Queen of Cannes". Dort war sie gleich in doppelter Rolle unterwegs. Sie spielt Hedwig, die Ehefrau des Auschwitz-Leiters Rudolf Höss, in der von Jonathan Glazer realisierten Romanverfilmung The Zone Of Interest von Martin Amis (der dafür wiederum die Autobiografie von Höss fiktionalisierte – eines der ekligsten Bücher, der Weltgeschichte). Und Hüller spielt die Hauptrolle in Anatomie eines Falls von Justine Triet, die dafür die Goldene Palme bekam – bei ihre Dankesrede aber zuerst sagte "Bitte komm rauf, Sandra!" So war es auch ohne direkte Palmenauszeichnung ein großer Moment für eine große Schauspielerin, die über den Dreh mit Triet bei der Preisverleihung sagte: "Es ist der intimste Film, den ich je gemacht habe."
Frankreich ist ein komisches Land. Ein wahnsinnig vielseitiges. Ein schönes. Eines, das reich an Kultur ist. Und eines, das in einem Themenbereich immer wieder seltsam widersprüchliche Kapitel schreibt – nämlich immer dann, wenn es um Sexismus, Misogynie und sexualisierte Gewalt im Kulturbetrieb geht. So auch Cannes 2023: Während einerseits ein Film gewinnt, der eine toxische Beziehung seziert, gab man ausgerechnet Johnny Depp die ganz große Bühne, der satte sieben Minuten Applaus bekam für seine Rolle im Eröffnungsfilm Jeanne Du Barry von Regisseurin und Hauptdarstellerin im eigenen Film Maïwenn. Selbst wer – wie wir – seine Schauspielerei verehrt, muss einfach zugeben, dass die Enthüllungen aus und sein Auftreten in dem Prozess mit Ex-Frau Amber Heard kein gutes Licht auf ihn werfen – auch wenn er den Prozess gewonnen hat. Da wäre es ratsam gewesen, Depp vielleicht nicht am ersten, großen Abend über den Roten Teppich laufen zu lassen. Auch die dünnhäutige Reaktion von Cannes-Leiter Thierry Frémaux am Tag vor der Eröffnungsfeier wirkt nicht gerade sympathisch. Der sagte mit rotem Kopf "Wenn Sie dächten, das wäre ein Festival für Vergewaltiger, dann würden Sie doch nicht hier sitzen und mir zuhören, sich darüber beschweren, wie schwierig es ist, an Tickets zu kommen!" Wer so etwas sagt, hat leider nicht wirklich verstanden, worum es in der Sache geht – und dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Das wird – neben dieser bizarren Pressekonferenz – eben auch von Cannes 2023 bleiben:
Doch zurück zu den erfreulichen Dingen: Der von uns hoch geschätzte Wim Wenders war mit gleich zwei Filmen in Cannes vertreten. Die in 3-D gefilmte Dokumentation Anselm über den Maler Anselm Kiefer (der außerhalb des Wettbewerbs gezeigt wurde) und sein erster Spielfilm in sechs Jahren. In Perfect Days, den er in nur drei Wochen filmte, folgt Wenders einem japanischen Toilettenreiniger, der von Kôji Yakusho so gut gespielt wird, dass er den Preis für den besten Darsteller gewann. Yakusho ist einer der bekanntesten Schauspieler Japans und sagte dazu: "Wim Wenders ist ein Deutscher, aber er versteht Japan so gut, dass ich den Eindruck habe, er muss in einem früheren Leben Japaner gewesen sein. Er ist jemand, der ein tiefes Verständnis für die japanische Kultur hat, und wenn man sich seine Musikauswahl ansieht, ist die Mischung der beiden Kulturen perfekt."
Das Cannes aber auch über die Filmwelt hinaus strahlt und für Schnappatmung sorgt, sah man zum Beispiel bei TikTok und auf Twitter. Deshalb noch eine amüsante Randnotiz, mit der Sie vielleicht ihre Teenie-Kids beeindrucken können: Um die Filmfestspiele herum richten auch die Top-Mode-Marken ihre Shows und Partys aus. Bei der Versace Show kam es zu einer Begegnung, die für Begeisterung sorgte: Dort war der koreanische Popstar Hyunjin eingeladen, der bei der international erfolgreichen (und sehr guten) K-Pop-Band Stray Kids der beste Tänzer – und in den Augen vieler – der schönste Mann ist. Dazu muss man wissen: "Idols" wie Hyunjin haben offiziell weder eine öffentliche Beziehung noch eine offen kommunizierte sexuelle Präferenz. Eine altmodische, ungeschriebene Regel im K-Pop. Hyunjin wurde nun aber an einem Tisch mit dem queeren Popstar Troye Sivan und dem Schauspieler Manu Rios platziert, der für seine Rolle des homoesexuellen Patrick in der Netflix Serie "Elite" als hottes Idol der LGBTQ-Community gilt. Vor allem diese Szene begeistert Hunderttausende im Netz, in der Troye Hyunjins sehr offensichtlich auscheckt.