Der Auftakt von Wenders’ Roadmovie-Trilogie ist vier Jahre nach seinem Spielfilmdebüt mit Summer In The City und den beiden Romanverfilmungen Die Angst des Tormanns beim Elfmeter sowie Der scharlachrote Buchstabe sein Durchbruch in der Welt des Autorenfilms und darüber hinaus. Es ist ein für ihn ganz typischer Streifen: eine Hommage an verschiedene Alltagsorte, die poetisch beleuchtet werden – die Straßen von New York, Amsterdam und dem Ruhrgebiet (ja, wirklich) entwickeln so einen ganz eigenen Zauber. Als überraschend leichte, warme Geschichte der Entfremdung und des Verlorenseins in der Welt des Spätkapitalismus erzählt Alice in den Städten vom Journalisten Philip Winter (Langzeitkollaborateur Rüdiger Vogler), der von einer Schreibblockade und grundlegenden Sinnkrise gebeutelt ist und sich unverhofft als Aufpasser des kleinen Mädchens Alice (Yella Rottländer) wiederfindet. Ein Dokument einer ungewöhnlichen Freundschaft und der Macht des Zufalls, ganze Leben zu verändern.
Es ist nicht der einzige Meta-Film von Wenders: 1994 etwa macht er mit Lisbon Story noch einen Film übers Filmemachen, Der Stand der Dinge ist jedoch ungewöhnlich stark von persönlichen Erlebnissen geprägt. In dem Road-Drama verarbeitet Wenders die Erfahrungen und Konflikte während der Arbeiten an seinem Hollywood-Debüt Hammett, dessen Produktion sich wegen Uneinigkeiten mit Produzent Francis Ford Coppola, diversen Drehbuchumschreibungen und umfassenden Nachdrehs über vier Jahre zog. Während einer Zwangs-Drehpause reiste Wenders also nach Portugal und machte mit geliehenem Cast und Crew seines Freunds und Kollegen Raúl Ruiz diesen Film – eine resignierte Kritik des Hollywood-Kinos zu Beginn der Achtziger, erzählt anhand der Figur des Regisseurs Friedrich Munro (Patrick Bauchau), dem während der Dreharbeiten an einem Film das Geld ausgeht und dessen Produzent ihn im Stich lässt. Begründung: Schwarzweiß-Filme wolle niemand mehr sehen. Etwaige Parallelen zur Realität sind kein Zufall.
Ambitionierter war Wenders wohl nie: Im Director’s Cut kommt Bis ans Ende der Welt auf über viereinhalb Stunden Spielzeit, fürs Kino wurde der Film um rund zwei Stunden gekürzt – eine Entscheidung, mit der der Regisseur sich nie anfreunden konnte. Für ihn der „ultimative Roadmovie“, folgt das Epos den Hauptcharakteren, gespielt von Solveig Dommartin und William Hurt, sowie ihrer zusammengewürfelten Gefolgschaft über vier Kontinente. Mal mehr Romanze, mal mehr Sci-Fi-Abenteuer windet sich das Mammutprojekt in immer neue Richtungen. Ikonisch auch der Soundtrack mit Originalkompositionen von Graeme Revell sowie Songs von U2, Nick Cave, R.E.M., Patti Smith, Lou Reed und vielen mehr – die perfekte Roadmovie-Untermalung.
Zu Unrecht im Schatten seines Vorgängers: Das Prequel Der Himmel über Berlin ist wohl der berühmteste Film von Wim Wenders, mit In weiter Ferne, so nah griff er sechs Jahre später jedoch nochmal die Geschichte der Engel Berlins auf. In diesen sechs Jahren hat sich viel geändert: Die Mauer ist gefallen, Berlin ist jetzt eine geeinte Stadt. Das Drama wartet mit großem Staraufgebot von Nastassja Kinski und Willem Dafoe bis Lou Reed und Michail Gorbatschow auf, die Hauptrolle übernimmt erneu Otto Sander als Engel Cassiel, der ungeplant zu einem Sterblichen wird und versucht, sich in der Welt der Menschen zurechtzufinden. Eine große Erzählung über die Zeit und den Sinn des Lebens, gehüllt in Melancholie.
Es ist kein Wunder, dass Fotograf Sebastião Salgado als ewiger Reisender und Abenteurer mit seinen poetischen, intensiven Schwarzweiß-Aufnahmen aus aller Welt von Wim Wenders verehrt wird. 2014 widmete ihm Wenders, zusammen mit Salgados Sohn Juliano, den Dokumentarfilm Das Salz der Erde, der für einen Oscar nominiert wurde. Der Film beleuchtet anhand der Fotos des Brasilianers und Filmaufnahmen seines Sohnes intim das Leben, Werk und die Subjekte der Arbeit des sozialdokumentarischen Fotografen: Hungersnöte, Vertreibung und Kriege hielt er genauso fest wie indigene Völker und Arbeiter:innen, in späteren Jahren widmete er sich der Naturfotografie und dem Umweltschutz.
cw