Filmfestivals bleiben (wie alle anderen Festivals auch) inmitten einer Pandemie eine vertrackte Sache. Trotzdem haben die letzten zwei Jahre bewiesen, dass ein Kinobesuch relativ sicher ist und die Kinos Hygiene-Konzepte haben, die sich bewähren konnten. Aus diesem Grund wird die 72. Berlinale, die am 10. Februar beginnt und am 20. Februar endet, in großen Teilen in Präsenz stattfinden. Zwar sind alle Partys abgesagt und Fan-Versammlungen am roten Teppich nicht erlaubt, aber immerhin werden die Filme vor Publikum gezeigt. Carlo Chatrian, der an der Seite Mariette Rissenbeek die Berlinale leitet, schreibt dazu in seinem Grußwort: "Ein Festival wie die Berlinale kann nur unter bestimmten Bedingungen existieren. Es geht nicht darum, einen modus operandi (in Präsenz) gegen einen anderen (online) durchzusetzen, sondern darum, als Beschützer eines Raums in Erscheinung zu treten, der zu verschwinden droht. Einen Film in einem Kinosaal anzuschauen, das Atmen, Lachen und Geflüster der anderen zu hören (auch unter Wahrung der Abstandsregeln), trägt nicht nur entscheidend zum Sehvergnügen bei, es stärkt auch die gesellschaftliche Funktion, die das Kino hat und weiterhin haben muss. Wenn Filme den Anspruch und den Ehrgeiz haben, vom Menschen in seiner Lebenswelt zu erzählen, müssen sie sich an eine Gemeinschaft richten, an ein Publikum und nicht an eine Menge von Nutzer*innen, die sich jede und jeder für sich einloggen."
Schon der Eröffnungsfilm ist genau unsere Baustelle: Peter von Kant ist laut Regisseur François Ozon eine "freie Interpretation" von Rainer Werner Fassbinders Klassiker Die bitteren Tränen der Petra von Kant aus dem Jahr 1972. Viel mehr weiß man auch noch nicht über den Film, außer dass Ozon die Figur der Petra von Kant in einen männlichen Regisseur namens Peter verwandelt habe, dieser von Denis Menochet gespielt werde und der Film eine Verneigung vor dem Original und vor Fassbinder selbst sei. Ozon ließ verlauten, dass er sich sehr auf Berlin freue: "Es ist mir ein großes Vergnügen und eine große Ehre nach Berlin zurückzukehren – eine Stadt, mit der ich nur schöne Erinnerungen verbinde – und das 22 Jahre, nachdem ich hier den Film Tropfen auf heiße Steine zeigen konnte, der ebenfalls eine Fassbinder-Adaption ist." Die Berlinale sei für ihn "der perfekte Ort, um Peter von Kant kennenzulernen, der meine starke Verbindung als französischer Regisseur mit der deutschen Kultur zelebriert." Einen Trailer gibt es leider noch nicht, also erfreuen wir uns noch einmal an einer der stärksten Szenen aus Fassbinders Original:
Auch wir von Studiocanal sind mit einen Film im diesjährigen Wettbewerb vertreten. Die spanisch-französische Koproduktion unter der Regie von Isaki Lacuesta thematisiert eine tragische Nacht in der jüngeren französischen Geschichte – und zwar jene des 13. Novembers 2015, als dschihadistische Terroristen während eines Konzerts der Eagles Of Death Metal den Musikclub Bataclan stürmten und 89 Menschen töteten, während weitere Täter an anderen Orten der Stadt ebenfalls das Feuer auf feiernde Menschen eröffneten. Trotzdem sei es laut des Produzenten Ramón Campos ein "positiver Film, der davon erzählt, wie Liebe den Terror und das Trauma überwinden kann." Die Geschichte basiert in großen Teilen auf den Erzählungen des Spaniers Ramón González, der mit seiner Freundin Céline auf dem Konzert war. Die beiden überlebten, kämpften und kämpfen aber seit Jahren zusammen mit den traumatischen Erfahrungen. González veröffentlichte 2018 das Buch "Paz, amor y death metal" über diese Zeit.
Dass Südkorea in Sachen Popmusik, TV-Serien und Kinofilmen vieles zu bieten hat, weiß man schon länger, aber nach den Erfolgen von BTS und Blackpink im Pop, dem Squid Game Hype auf Netflix und dem Oscar für Parasite haben es auch die letzten begriffen. Im diesjährigen Wettbewerb wird der neue Film des südkoreanischen Regisseurs Hong Sang-soo gezeigt. The Novelist's Film erzählt in ruhigen Schwarz-Weiß-Bildern von einem Ausflug der Schriftstellerin Jun-hee und – so sagt es Carlo Chatrian von der Berlinale – "die Schönheit zufälliger Begegnungen" feiert.
Der neue Film mit Isabelle Huppert und Lars Eidinger in einer weiteren Hauptrolle läuft nicht im Rahmen des Wettbewerbs sondern innerhalb des "Berlinale Special Gala". Der erfreuliche Hintergrund: Isabelle Huppert wird am 15. Februar für ihr Lebenswerk mit einem Goldenen Bären geehrt. Eine gute Wahl, finden wir. Und verneigen uns vor einer großen Schauspielerin, über die Claude Chabrol einmal sagte: "Die Leute denken, dass beim Drehen eines Films der Regisseur den Darstellenden hilft, eine Rolle zu spielen. Isabelle hilft dem Regisseur, den Film zu drehen."
Wer tiefer in das komplette Programm der Berlinale auftaucht, findet immer wieder Perlen, bei denen Cineast*innen das Herz aufgeht. In diesem Jahr wird in der Sektion "Encounters" zum Beispiel der Film See You Friday Robinson gezeigt. Ein erstaunliches Projekt der in Paris lebenden, iranischen Regisseurin, die dafür einen multimedialen Dialog zwischen dem iranischen Intellektuellen Ebrahim Golestan und der französischen Ikone Jean-Luc Godard inszenierte. Der Titel bezieht sich auf die Antwort von Godard auf Farahanis Anfrage, ob sie eine Konversation zwischen den beiden arrangieren dürfe. Farahani selbst sagt, sie sei "acht Monate lang eine Botin der Wörter und Bilder" geworden, denn der zur Zeit des Drehs 90jährige Franzose und der 98jährige, in London lebende Iraner kommunizierten über Videoaufnahmen, Bilder und Mails miteinander.
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DK