Udo Kiers Karriere war ungewöhnlich – davon konnte man sich in Kiers Heimatstadt Ende 2024 ein Bild machen. Der Kölnische Kunstverein kuratierte dem damals gerade 80 Jahre alt gewordenen Hollywood-Star eine Ausstellung über nichts Geringeres als sein Leben auf den Leib. Der Titel lautete "Udo is Love" und bezog sich auf eine Postkarte des bildenden Künstlers Sigmar Polke, der mit diesem Kompliment versöhnliche Töne nach einer Auseinandersetzung mit Kier anschlagen wollte. Gestritten wurde viel in den alten Zeiten. Aber wo viel Streit ist, da herrscht meist auch viel Liebe.
Udo Kier wurde 1944 im Bombenhagel der Alliierten geboren. Er wuchs auf der von den Kölnern ungeliebten "Schäl Sick", also der rechten Rheinseite auf, lebte und arbeitete in Köln, bevor er mit 50 nach Los Angeles umzog. Aber neben Diskussionen zwischen ihm und Polke, mit Künstlerkumpel Marcel Odenbach sowie dem Regisseur Rainer Werner Fassbinder – mit denen Kier damals viel Zeit verbrachte –, wurde auch das gute Leben zelebriert, etwa beim "Italiener" oder in einer Künstlerkolonie. Die rheinische Karnevalsmetropole Köln war einst eine Hochburg der Kunstszene. Wenn wir Udo Kier heute gedenken, haben wir jedoch eher seine zahllosen Filmauftritte vor Augen.
Udo Kier arbeitete mit den größten Regisseuren zusammen, segnete schon die Warhol-Filme von Paul Morrissey in den Rollen von Dracula und Frankenstein mit seiner Aura, nachdem er zuvor in einigen wilden Exploitation-Filmen aufgetaucht war. Der Autor dieses Texts durfte einmal mit Udo Kier telefonieren (es ging damals um die Promotion für einen neuen Uwe Boll-Film, bei dem er mitwirkte) und rechnete ihm vor, wie lange er als Vampir für Warhol in den Spiegel geschaut hatte, bevor man seine spitzen Eckzähnchen aufblitzen sah. Diese Aufmerksamkeit für die eigene Figur wusste er als König der Nebendarsteller sehr zu schätzen.
Das Auf- und Untertauchen in Filmen wird als Markenzeichen Kiers erhalten bleiben, der später nur noch selten mal die Hauptrolle übernahm. Kier war eine Erscheinung – selbst mit Kurzauftritten vermochte er viele zu überstrahlen, die ihr Handwerk in der Schauspielschule gelernt hatten. Aber ganz ohne darstellerisches Können wäre er selbst mit seinem markanten Gesicht samt den unwiderstehlich leuchtenden Augen in Hollywood nicht so weit gekommen. Game-Design-Ikone Hideo Kojima kreierte gar einen Udo Kier-Avatar – der die Kölner Ausstellung bereicherte.
Nicht nur Hollywood, auch der deutsche Film wusste Udo Kier zu schätzen. Mit Fassbinder arbeitete er in dem RAF-Film Die dritte Generation zusammen. Noch enger verbunden war Udo Kier anderen Autorenfilmern wie Gus Van Sant, Lars von Trier und Christoph Schlingensief. Aber Udo Kier war nicht nur Liebe – wenn wir Polke beziehungsweise den Titel der Ausstellung beim Wort nehmen, was umso spannender erscheint, da er meist den Bösewicht mimte –, er war stets überall zu finden. Über 200 Kinoauftritte finden sich in seiner Filmografie. Dabei fand er immer wieder die passenden Rollen.
Dank seiner unnahbaren Art, die er im persönlichen Gespräch als gebürtiger Rheinländer schnell abzulegen imstande war, und der fast schon natürlichen Camp-Attitüde, gepaart einem gewissen finsteren Potenzial krimineller Energie, das hinter den hellen Augen aufblitzte, wirkt er etwa wie geschaffen für die Rolle eines Papstes, den er in der Serie Borgia als Innozenz VIII verkörperte.
Am 23. November 2025 ist Udo Kier in Palm Springs verstorben. Auf dem Youtbube-Channel von ARTHAUS kann man ihn auch weiterhin in Werner Herzogs Thriller My Son, My Son, What Have Ye Done bewundern. Hideo Kojimas Avatar wird Udo Kier überleben. Und dank seiner Filme hat er sich selbst schon zu Lebzeiten ein Denkmal gesetzt.
WF