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Kennen Sie den schon? Blaue Stunden mit der Diva

Das Regiedebüt von Jean-Jacques Beineix ist einer der stylishsten Filme der ja auch nicht gerade unstylishen 80er-Jahre. In 4K UHD schillert er jetzt noch schöner.

15. Oktober 2025

Eigentlich weiß man ja, dass man sich nicht vom guten Aussehen blenden lassen soll. Aber mit Filmen ist es wie mit Menschen: Man kann sich manchmal einfach nicht dagegen wehren. Schon die ersten Minuten der restaurierten Fassung von Diva sind so wunderschön anzusehen, dass man am liebsten in diesem schillernden Film mit all diesen schillernden Figuren in dieser schillernden Stadt leben wollen würde.

Der Film beginnt in einem Pariser Theater, das wohl zuletzt vor 100 Jahren glänzte. Man erkennt die erhabene Architektur, auch das Publikum hat sich rausgeputzt, das Orchester und die Opernsängerin Cynthia Hawkins sowieso – aber das Theater ist an vielen Stellen bröckeliger Putz und nackter Beton. Der junge Jules (Frédéric Andréi), der wohl stylishste Postbote der Stadt, sitzt aufgeregt in einer der Sitzreihen. Er ist Fan der "Diva" Hawkins, die noch nie eine Aufnahme ihrer überirdischen Stimme erlaubt hat. Jules hat ein Tonbandgerät auf dem Schoß und wird ihren Vortrag der eher selten aufgeführten Oper "La Wally" von Alfredo Catalani perfekt einfangen.

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Und da geht der Ärger schon los: Hinter ihm sitzen zwei taiwanesische Gangster und beobachten sein Treiben. Sie werden Jules später nachstellen, weil sie die Aufnahme veröffentlichen wollen. Kameramann Philippe Rousselot zeigt schon da seine Kunst: Er filmt die Pilotensonnenbrillen der Gangster so, dass sich das Konzert in ihnen spiegelt. So atmosphärisch nimmt Jules‘ Schicksal seinen Lauf: Schon wenig später wird es noch komplizierter als eine vor ihren Zuhältern flüchtende Prostituierte Jules ein Tonband zusteckt, das es in sich hat. Darauf erzählt sie, dass der mächtigste Polizist der Stadt im Menschen- und Drogenhandel verstrickt ist. Bald jagen alle Parteien hinter dem jungen Mann her, der doch nur seiner großen Liebe Cynthia Hawkins nahe sein will – und dafür, ehrlich gesagt, manchmal die Grenze zum Stalking übertritt. Trotzdem schafft er es zumindest kurz in ihr Herz, ihr Bett, ihre Hotelsuite und ihre Badewanne.

Schon nach wenigen Filmminuten ist man von der Ästhetik, der Stilsicherheit und der sich langsam zusammenfügenden Handlung des Films gefesselt. Und fragt sich zuerst einmal, ob man es hier wirklich mit einem Regiedebüt zu tun hat. Das lässt sich im Grunde mit einem klaren "Jein" beantworten. Jean-Jacques Beineix hatte noch nie bei einem Langfilm Regie geführt, aber er war mit Mitte 30 bereits ein alter Hase im Filmbusiness. Als Regie-Assistent von Leuten wie Jean Becker, Gérard Brach oder Claude Zidi hatte er deren Handwerk verinnerlicht – und mit dem für einen César nominierten Kurzfilm Le chien de Monsieur Michel aus dem Jahr 1977 bereits bewiesen, dass er auch eigene kreative Visionen in sich trägt.

Eine der ästhetischsten Verfolgungsjagden der Filmgeschichte. © Arthaus / Studiocanal

Eine der ästhetischsten Verfolgungsjagden der Filmgeschichte. © Arthaus / Studiocanal

Im Bonus-Material zur neuen Diva-Version gibt es ein gut 90minütiges Interview-Feature, in dem Beineix noch einmal erzählt, dass nicht nur er sich einen Langfilm zutraute, sondern auch die Produzentin Irène Silberman. Sie hätte ihn angerufen und gefragt, ob er schon den Roman "Diva" von Daniel Odier gelesen habe. Beineix musste das verneinen, machte sich aber in seinem Urlaub auf, um eine Buchhandlung zu finden, die den Kriminalroman des Schweizers im Angebot hatte. Nach der Lektüre war er sich sicher: Da steckt ein Film drin. Beineix konnte außerdem gleich eine Summe nennen, die er für die Produktion brauchte. "Ich kannte mich da aus. Ich hatte lange genug Budgets für andere im Blick gehabt." Beineix schrieb dann mit dem belgischen Drehbuch-, Roman- und Comic-Autor Jean Van Hamme die Filmfassung.

Es waren dann aber vor allem die weiteren Personalentscheidungen und diverse künstlerische Launen und Wagnisse, die diesen Film zu mehr machten, als dem bloßen, clever konstruierten Krimi, der Diva als Roman ist. Da wäre zum einen natürlich die Entscheidung, eine echte, aufstrebende Opernsängerin zu verpflichten: Wilhelmenia Fernandez gelang tatsächlich ein Stückweit dank Diva der Sprung auf die großen Opernbühnen. Sie entspricht übrigens recht genau der Beschreibung der "Diva" im Roman – und sie sang zur Zeit der Produktionsvorbereitungen an der Pariser Oper. Beineix entdeckte sie eher zufällig: Er schaute sich eine Aufführung von "La Boheme" an, um überhaupt erstmal ein Gefühl für Opernauftritte zu bekommen – und genau an diesem Abend sang Fernandez die Rolle der Musetta.

Die Diva und ihr treuster Fan. © Arthaus / Studiocanal

Die Diva und ihr treuster Fan. © Arthaus / Studiocanal

In der Doku des Bonusmaterials erzählt Beineix: "Ich hatte ihr das Drehbuch geschickt, sie hatte es gelesen – und sie war nicht überzeugt. Ich bat sie, mir noch eine Chance zu geben, und es ein weiteres Mal in meinem Beisein zu lesen, damit ich ihr die Szenen noch ausführlicher erklären kann." Nach diesem Treffen habe sie dann zugestimmt.

Als Kameramann wählte Jean-Jacques Beineix für Diva Philippe Rousselot, der sich schon als Kamera-Assistent von Néstor Almendros für Éric Rohmer verdient gemacht hatte. Ein weiterer Assistent also, der bereit war, selbst eine führende Rolle zu übernehmen. Rousselot war es auch, der vorschlug, den Film mit der Farbe Blau zu prägen. Beineix erzählt, Rousselot habe damals gerade ein Buch gelesen von einem Opern-liebenden Maler, der in der Musik die Inspiration für seine blaue Phase gefunden habe. Das habe er als Zeichen gewertet.

Dritter im kreativen Bunde war Hilton McConnicon. Der amerikanische Designer und Künstler lebte seit einigen Jahren in Paris, hatte einerseits für Modehäuser wie Yves Saint-Laurent gearbeitet, anderseits aber auch als Szenenbildner und künstlerischer Leiter für Regisseure wie François Truffaut oder Claude Chabrol gearbeitet. Beineix grinst im Interview der Dokumentation im Bonusmaterial, als er sich an das Dreigestirn mit ihm, McConnicon und Rousselot erinnert. Über McConnicon sagt er: "Der hat das durchgezogen mit dem Blau. Auch als Rousselot plötzlich eine Krise kriegte und zweifelte, ob das so eine gute Idee sei, wich er nicht davon ab."

Das mit dem Blau wurde durchgezogen. © Arthaus / Studiocanal

Das mit dem Blau wurde durchgezogen. © Arthaus / Studiocanal

Auch Hilton McConnicon wurde für diese Doku interviewt – und er zieht das mit dem Blau sogar heute noch durch. Es kann jedenfalls bei ihm kein Zufall sein, dass er vor einem himmelblauen Bild sitzt, das Sofa mit blauen Elementen verziert ist und auch sein Outfit auf milde Blautöne setzt. McConnicon ist völlig zurecht bis heute stolz auf seine Arbeit für Diva. Besonders gefallen habe ihm das Loft des geheimnisvollen Bohemians Serge Gorodish. "Die Fenster waren so riesig, dass wir es uns nicht leisten konnten, sie mit blauer Folie abzukleben. Also habe ich ein paar Leute in eine Bonbonfabrik geschickt, mit dem Auftrag ein paar Rollen blaues Bonbonpapier zu kaufen. Das war viel günstiger. Ich habe dann große Streifen davon zwischen die Scheiben und eine Art Moskitogitter gelegt – das hatte einen ganz eigenen Effekt."

Diva gilt heute in gut informierten Kreisen als Klassiker und als prägender Film des Cinema du Look (das wir hier schonmal vorgestellt haben). Damals aber brauchte es eine Weile, bis der Film sein Publikum fand.

Beineix erzählt sehr offen, dass die Produzent:innen und auch viele Kritiker:innen erst nicht wirklich glücklich waren und keiner so recht an den Film glaubte. "Sie hatten einen außergewöhnlichen Film bekommen – das wussten sie. Aber es war nicht der Film, den sie sich vorgestellt hatten." Aber: "Damals funktionierte die Mund-zu-Mund-Propaganda noch ziemlich gut. Wir hatten kaum Kinotermine oder gute Kritiken, aber eine Menge Leute in der Branche, die durch die Gegen liefen und fragten: ‚Hast du schon von diesem kleinen seltsamen französischen Film Diva gehört?‘"

"Alle Figuren in dieser Geschichte sind unwahrscheinlich", sagt der Regisseur – und die Bildsprache. © Arthaus / Studiocanal

"Alle Figuren in dieser Geschichte sind unwahrscheinlich", sagt der Regisseur – und die Bildsprache. © Arthaus / Studiocanal

Den Durchbruch brachte schließlich die Teilnahme am Toronto Film Festival 1981, die für Diva die Türen zum amerikanischen Markt öffnete. Dort wurde der Film durchweg positiv gesprochen, was schließlich auch den europäischen Blick auf Diva änderte. Über die Jahre hat Diva dann eine regelrechte Fanschar angesammelt und sich immer mehr als Grower entpuppt.

Aber auch wenn wir diesen Text mit einem Hohelied auf die schöne, unwiderstehliche Oberfläche begonnen haben: Diva ist mehr also bloß stylisch. Der Film hat einen eigenen Drive und eine sich herrlich ent- und verwirrende Handlung, die zu einer überzeugenden Auflösung kommt. Außerdem macht Beineix nie einen Hehl daraus, dass er in der Story eher eine Liebesgeschichte oder gar ein modernes Märchen als einen bloßen Krimi sieht.

Gleich zu Beginn der Doku im Bonusmaterial sagt er: "Alle Figuren in dieser Geschichte sind unwahrscheinlich." Was anderswo die Schwäche eines Films sein könnte, macht Beineix mit seinen kreativen Sparrings Partner:innen zur Stärke von Diva, in dem er diese Unwahrscheinlichkeit mal feiert, mal ironisch bricht und immer wieder unwahrscheinlich schick und schön in Szene setzt.

DK

Daniel Koch

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